„Wer Menschen in Klassen und Rassen einteilt, widerspricht dem Willen Gottes“: Demo gegen Rechts

Erstellt am 05.02.2024

„Alles zerfällt, die Mitte hält nicht mehr.“ William Butler Yeats schrieb diese Zeilen im Jahr 1919. Eine Pandemie war gerade durchgestanden, in der Ukraine herrschte Krieg, in ganz Europa erstarkten extremistische Parteien. Ein Jahrhundert später scheinen sich manche dieser Entwicklungen zu wiederholen. Der Ev. Kirchenkreis Vlotho unterstützte daher den Aufruf des Bündnisses für Vielfalt, Menschenwürde und Toleranz Bad Oeynhausen e.V., gegen dieses Abdriften in antidemokratische Tendenzen auf die Straße zu gehen. Mehr als 400 Menschen hatten sich vor der Auferstehungskirche am Kurpark versammelt, um mit den Worten des Organisators Thomas Heilig zu sagen: „Die Mitte ist da.“

Der Platz vor der Auferstehungskirche füllte sich schon lange vor der angesetzten Uhrzeit. Bis Thomas Heilig, der als Leiter des Integrationsrats die Demonstration angemeldet hatte, um 11.30 Uhr das Wort ergriff, hatten sich bereits Hunderte Menschen aus Bad Oeynhausen und dem ganzen Kirchenkreis versammelt und machten ihr Eintreten für eine offene Gesellschaft auf Plakaten und Schildern klar. Auslöser war die, anfangs nur in den einschlägigen Netzwerken verbreitete Ankündigung, dass rechtsgerichtete, nationalistische und „coronakritische“ Gruppen durch die Kurstadt ziehen würden. Innerhalb von zwei Tagen hatten sich die demokratischen Kräfte in der Stadt formiert, um gegen diesen Zug und das dort verbreitete Gedankengut aufzustehen. Die schnelle Reaktion war auch Ausdruck des Aufschreis, der seit den Enthüllungen über die Deportationsfantasien beim Potsdamer Treffen nationalistischer und AFD-naher Gruppen durch das Land geht. Nach Protestdemos in Minden und Herford war für viele der Anwesenden der Samstag eine Gelegenheit, auch in Bad Oeynhausen Flagge zu zeigen.

Menschenwürde als christlicher Wert

Dorothea Goudefroy, Superintendentin des Ev. Kirchenkreises Vlotho, hatte bereits auf dem Herforder Rathausplatz gesprochen und ihre Haltung in einem öffentlichen Interview erklärt. Ihre Botschaft dort war dieselbe wie am Samstag: „Es reicht nicht mehr, schweigend eine gute Meinung zu haben.“

Die Superintendentin hatte nach Thomas Heilig und Rüdiger Beinroth vom Bündnis für Vielfalt, Menschenwürde und Toleranz Bad Oeynhausen e.V. das Mikrofon ergriffen. Ihre Vorredner hatten in klaren, teils persönlich eingefärbten Worten ihrem Entsetzen über das Erstarken rechtsextremer Kräfte Ausdruck verliehen. Grundsätzlicher wurde Dorothea Goudefroy in ihrem Redebeitrag. „Jeder Mensch hat Würde, weil er von Gott geschaffen und gewollt ist“: so erklärte sie, warum Menschenwürde ein christlicher Wert ist, für den sich auch die Kirche politisch positionieren müsse. Für ihre Schlussfolgerung erhielt die Superintendentin spontanen Applaus: „Wer Menschen in Klassen und Rassen einteilt und als besser oder schlechter, als würdiger oder wertlos ansieht, widerspricht dem Willen Gottes.“

Angesichts der Menge der Menschen vor der Auferstehungskirche betonte die Superintendentin: „Hier und heute erleben wir, dass die, die für eine freiheitliche Demokratie und das Recht aller Menschen eintreten, viele sind.“ Sie rief die Menschen dazu auf, dies auch im Alltag zu leben und „ein Wort wagen, wenn ausgrenzend gesprochen wird.“

Stefan Schwartze MdB (SPD) schlug in seiner Rede die Gleichheit vor dem Gesetz und die Garantie der Menschenwürde im Grundgesetz als einfachen Test vor: „Man geht nur mit Menschen auf die Straße, die diese zwei Sätze unterschreiben können.“ Für Kawa Chikha, der als Vertreter des Integrationsrats die Reihe der Redenden abschloss, sind diese Garantien nicht nur ein Test der demokratischen Gesinnung eines einzelnen Menschen, sondern der ganzen Gesellschaft. Er selbst, der als Flüchtling nach Deutschland gekommen war, habe beim Lesen dieser Sätze gewusst: „Hier in Deutschland ist mein Platz.“

Gut gelaunt für Demokratie

Trotz Nieselregen und wolkenverhangenem Himmel waren die Menschen an der Auferstehungskirche bei bester Laune und mit viel Witz zur Verteidigung der offenen und vielfältigen Gesellschaft angetreten. Selbst bei der Konfrontation der Gegendemonstranten mit dem ungleich kleineren rechten Demonstrationszug wurde auf die dort geäußerten Ansichten mit gut gelaunten Sprechchören, Humor und Menschlichkeit reagiert. Vielfach wurde in den Reden und auf Plakaten dann auch die jiddische Mahnung zitiert, die dem Sportreporter Marcel Reif von dessen jüdischen Großvater mit auf den Weg gegeben wurde: „Sej a Mensch“.

Superintendentin Dorothea Goudefroy spricht zur Versammlung vor der Auferstehungskirche