Alles andere als einschläfernd: Mit seinem Konzert „Only in Sleep“ begeisterte der Kammerchor Via Cantica unter der Leitung von Līga Auguste und mit Unterstützung von Sopranistin Katja Vorreyer und Kreiskantor József Opicz das Publikum in der Auferstehungskirche am Kurpark. Das nur einstündige Konzert wurde zu einer Meisterklasse in musikalischer und lyrischer Traumbildmalerei und bot dem Publikum viele Neuentdeckungen in der zeitgenössischen Vokalmusik.
Vierhändig gingen Kreiskantor József Opicz und Līga Auguste, Kantorin an St. Stephan Vlotho und Leitung des Kammerchors Via Cantica an diesem Abend, das Eröffnungsstück an: Rachmaninovs Barcarolle aus „Six Morceaux“ von 1894. Beide drückten ihren Teilen jeweils ihren eigenen Charakter auf, Līga Augustes spielerische Spannbreite und Ausdrucksvermögen und József Opicz’ zurückhaltende, französisch-chopinesque anmutende Eleganz. So stimmten sie zusammen auf den Charakter des Abends ein: technische Präzision und lyrische Leichtigkeit vereint.
Der erste Vokalteil des Abends wurde zur Gegenüberstellung zweier kompositorischer Traditionen: Ralph Vaughn Williams „Rest“, das sich mit seinem Rückgriff auf tudorzeitliche Klangwelten und Anklängen an Thomas Tallis klar von der deutsch dominierten Vokalmusik des späten 19. Jahrhunderts absetzt, traf hier auf Brahms „Schaffe in mir Gott ein rein Herz“: hier volksfrömmigkeitliche, leicht melancholische Innigkeit, dort norddeutsch-protestantische Wucht. Die Sängerinnen und Sänger von Via Cantica gaben dem Brahms dann auch eine Wall-of-Sound-Fülle, ohne die klare Struktur des Stücks mit seinen sehr bewusst eingesetzten Stimmwechseln zu übertönen.
Zur Überraschung des Abends wurden die beiden „Ubi Caritas“-Vertonungen des zeitgenössischen norwegischen Komponisten Ola Gjeilo, die eine Meditation von Pfarrerin Theodora Beer einrahmten. In seiner Verarbeitung der urchristlichen Antiphon verbindet er gregorianisches Erbgut mit dezidiert modernen Hörerwartungen, und besonders die von József Opicz am Klavier begleitete erste Version überzeugte mit unerwarteter emotionaler Tiefe bei allem Improvisationscharakter des Klavierparts. Zwischen diesem, mit besonderem Applaus empfangenen Stück und der reinen Vokalversion ließ Theodora Beer in ruhigen, aber eindringlich gesprochenen Worten den Moment des Einschlafens in Gedanken erscheinen. Nicht nur nahm sie dabei gekonnt einzelne Passagen der Vokalstücke auf; mit dem thematischen Spiel zwischen Schlaf und Tod ging sie auch an die Bedeutungsgrenze, die den Abend seit Vaughn Williams Eingangsstück immer wieder begleitete.
Die beiden Headliner-Stücke des Abends, Eric Whitacres „Sleep“ und Êriks Ešenvalds „Only in Sleep“ entwickelten dann, nach dem kürzeren „O salutaris hostia“ des lettischen Komponisten, fast hypnotische Qualitäten. In Whitacres Vertonung des Gedichts „The evening hangs beneath the moon“ von Charles Anthony Silvestri erlebt der Hörer den Moment des Einschlafens im Ton und Wort. An Theodora Beers Meditation erinnernd singen die starken Männerstimmen von Via Cantica erst narrativ von Abend und Nachtruhe, bevor die hohen Frauenstimmen über sie hinweg klingen und immer wieder den Moment des Nachgebens, des In-den-Schlaf-Ergebens besingen. Wie Gedanken kurz vor dem Einschlafen kreist der Gesang in immer engeren Bahnen um das Wort „Sleep“, „Schlaf“, bis auch dies immer leiser verhallt.
Līga Auguste kehrte vor Ešenvalds „Only in sleep“ für das „Notturno“ aus Edvard Griegs lyrischen Stücken noch einmal an die Tasten zurück, wo sie die technisch herausfordernden Wechsel des Stücks sichtlich genoss. Im folgenden Chorstück des jungen lettischen Komponisten durfte die Solistin Katja Vorreyer, nach einem gemeinsamen Part in „O salutaris hostia“ mit Līga Auguste, besonders glänzen. In dem Stück zu Traumwelten und Traumgesichtern zeigte die dem Oeynhausener Publikum wohlbekannte Sopranistin wieder ihre Stimmgewalt bei gleichzeitiger Kontrolliertheit und Akkuratesse. Nicht vor, sondern mit dem hier wie am ganzen Abend brillant singenden Kammerchor füllten sie und die Sängerinnen und Sänger von Via Cantica den Klangkörper Auferstehungskirche mit den von Ešenvalds modern romantisierend vertonten Kindheits- und Traumbildern aus Sara Teasdales Gedicht.
Seinen Abschluss fand der kurze, nur wenig mehr als eine Stunde dauernde Auftritt in Duruflés Vaterunser, das mit seinem lyrisch fließenden Gesang den thematisch passenden Charakter eines Abendgebets erhielt und als letztes veröffentlichtes Spätwerk des nach einem Unfall invaliden Komponisten wieder das Thanatosmotiv im Hintergrund mitschweben ließ. Nach Josef Rheinbergers Abendlied und einer Gelegenheit für das Publikum, zu einem Stück von Thomas Tallis auch miteinzustimmen, näherte sich der Abend dem Ende, zu dem Duruflés Mottete abschließend noch einmal als Zugabe vom Publikum gefeiert wurde.