Musikalische Urgewalten: Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Elias“ in der Auferstehungskirche am Kurpark

Erstellt am 06.11.2023

Fanatismus, Machtmissbrauch, Vertreibung, Klimawandel: die von Felix Mendelssohn-Bartholdy vertonte Geschichte des Propheten Elias bietet eine thematische Vielfalt mit vielen Anknüpfungspunkten, auch Störpotenzial und erschreckender Aktualität für den heutigen Hörer. Doch vor allem ist es ein Meisterwerk der Romantik und, mit weit über zwei Stunden Länge, musikalisches Großereignis. Am Sonntag wurde das Oratorium vor vollem Haus in der Auferstehungskirche am Kurpark aufgeführt.

Pfarrerin Theodora Beer überbrachte die schlechten Nachrichten zu Beginn: Kreiskantor Jozsef Opicz, durch dessen Einsatz über Monate der „Elias“ überhaupt möglich wurde, ist am Tag der Aufführung erkrankt. Sein Lübbecker Gegenpart, Heinz-Hermann Grube, fand sich bereit, einzuspringen und das Orchester Opus 7 mit dessen gewohnter Brillanz zu leiten, wenn auch die Pauken und Blechbläser den Streichern anfänglich oft den Rang ablaufen. Die Solopartien waren mit bekannten Gesichtern und neuen Talenten besetzt: Janno Scheller entwickelte in der Hauptrolle zusehends Kraft und Präsenz. Sopranistin Myriam Anna Dewald begeisterte besonders als Witwe von Sarepta. Tenor Simon Jass zeigte wieder seine Klasse als Obadja und König Ahab. Als Mezzosopranistinnen strahlten Pia Buchert, als Engel warm und sanft, als Königin Isebel dämonisch-böse, und Sara-Florentine Milcent, die besonders im Duet mit Myriam Dewald glänzte. Gekonnt unterstützt wurden sie durch Bettina Hacknauer, David Ludewig und Hagen Heinicke.

Meister des Spannungsaufbaus

Mendelssohn-Bartholdy verdichtet im Oratorium die biblische Geschichte auf einzelne Szenen. Erst wird das Publikum in der Geschichte verortet: das Land Israel leidet unter Dürre, das Volk, ausdrucksstark und gleichzeitig sehr klar vom Chor der Kantorei gesungen, ist verzweifelt. Aus dieser Totale geht die Dramaturgie in die Nahaufnahme: der Prophet Elias erweckt den Sohn der Witwe von Sarepta wieder zum Leben. Janno Scheller ist noch etwas zurückhaltend im Duet mit Myriam Dewald, doch beide bauen mit dem Chor immer mehr Spannung auf, bis das Wunder vollbracht ist und der Zufall es will, dass die Glocken der Auferstehungskirche im Moment der Erweckung schlagen.

Derselbe Sinn für Spannungsaufbau kommt auch in der nächsten Szene zum Tragen. Im Streit über den richtigen Glauben zwischen Elias und dem Baalskult lässt Mendelssohn-Bartholdy die Baalspriester erst routiniert, dann immer verzweifelter „Baal, erhöre uns“ rufen. Von Elias, dem Janno Scheller echte Häme in die Stimme legt, immer wieder mit „Rufet lauter“ angespornt, überschlagen sich die Frauen- und Männerstimmen, die Streicher werden immer hektischer, und Elias legt mit Hohn nach: „Schläft er vielleicht?“

Musikalische Populismusstudie

Janno Scheller ist mit voller Präsenz in seiner Figur angekommen. Es kommt zur Szene, an der sich der heutige Zuhörer stoßen muss: Gleich nach der bestandenen Wunderprobe ruft Elias das von ihm aufgepeitschte Volk zum Mord an den Baalspriestern auf, im Namen eines Gottes „der täglich droht: will man sich nicht bekehren, hat er sein Schwert gewetzt.“ Es bleibt bei allem musikalischen Bombast ein unbequemes Gefühl zurück.

Auf Gewaltorgie folgt Wiederaufbau, und Elias wendet die Dürre in einer mit Gespür für Dramatik gestalteten Szene ab: Janno Scheller betet um Regen, und Sara-Florentine Milcent auf der Kanzel sucht nach Zeichen der Rettung am Himmel. Immer wieder „Ich sehe nichts“, bis endlich eine Wolke heraufzieht, die Dürre endet und das Publikum nach dem Dankgesang des Chores in die Pause entlassen wird.

Die Rückkehr aus der Pause markiert nach der Arie „Höre Israel“ einen Wendepunkt für den bisher erfolgreichen Populisten Elias: Seine Anklage gegen König Ahab wird ihm zum Verhängnis, und Königin Isebel bespielt die ganze Klaviatur des Populismus bis hin zu den „Fake News“, dass Elias an der Inflation schuld sei. Pia Buchert genießt hörbar ihre Rolle in ihrer spitzen Betonung jedes Plosivs im „Er ist des Todes schuldig“.

Aus Jammertälern in Himmelshöhen

Die Seiten sind verkehrt. Das eben noch von Elias aufgewiegelte Volk ruft jetzt nach seinem Blut. Wieder markiert Mendelssohn-Bartholdy den Moment mit einem Wechsel in Musik und Stimmung. Drama, Intrige und Aufruhr werden hinter sich gelassen, und er geht ganz nah an seine Hauptfigur heran: Elias geht zu fatalistischen, fast trauermarschartigen Klängen in die Wüste, und Janno Scheller macht die Arie „Es ist genug“ mit der vollen emotionalen, mimischen und stimmlichen Bandbreite zu seinem Bravourstück des Abends.

Aus diesem Tief arbeitet sich die Musik langsam wieder hervor, beginnend mit dem Engelterzett „Hebe Deine Augen auf zu den Bergen“, in dem die Solistinnen in perfekten Harmonie brillieren. Ab „Der Herr ging vorüber“, bei dem der Chor der Kantorei seine ganze Wucht beweisen kann, geht das Oratorium von Superlativ zu Superlativ, bis Elias im feurigen Wagen entrückt wird und alles im Vorausblick auf die Ankunft des Messias endet.

Nach diesem musikalischen Feuerwerk zeigte das Publikum in der voll besetzten Auferstehungskirche seine Begeisterung mit langem Applaus und dem erfolgreichen Ruf nach Zugabe. Besonderer Jubel galt den Solisten und dem sichtlich erleichterten Heinz-Hermann Grube, der den Applaus stellvertretend auch für Jozsef Opicz entgegennahm.

Der Chor der Kantorei, das Orchester Opus 7 und die Solistinnen und Solisten begeisterten das Publikum in der voll besetzten Auferstehungskirche