Landessynode der Ev. Kirche von Westfalen: Kirchenkreis Vlotho gestaltet Auftaktgottesdienst in Bielefeld

Erstellt am 22.05.2023

Von Holger Spierig (epd).

Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen ist am Sonntag zu viertägigen Beratungen in Bielefeld-Bethel zusammengekommen. Im Auftaktgottesdienst in der Betheler Zionskirche rief die Vlothoer Superintendentin Dorothea Goudefroy dazu auf, der Stimme Gottes mehr Raum zu geben. Gottes Stimme klinge ganz sicher so „wie die Stimmen der Menschen, die über das Mittelmeer flüchten“, sagte sie laut Redetext. Auch klinge sie wie der Ruf nach Frieden.

Die Kirche ist nach Goudefroys Worten damit beschäftigt, neue Strukturen zu entwickeln, Personalplanungen zu machen und Schutzkonzepte zu schreiben. Ebenso gehe es um Vereinigungen von Kirchengemeinden oder die Gewinnung von Nachwuchs, um Klimaneutralität und um Engagement für den Frieden, sagte die Theologin in ihrer Predigt. Das alles sei durchaus richtig und wichtig. Es brauche aber auch Stille, um den Ruf Gottes zu hören, und Raum, um einfach da zu sein.

Die rund 190 Delegierten befassen sich am traditionellen Tagungsort Assapheum in Bielefeld-Bethel bis Mittwoch mit einer Reihe von Vorlagen, Berichten und Kirchengesetzen. Am Montag trägt Präses Annette Kurschus, die auch Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, ihren traditionellen Bericht zu aktuellen Themen in Kirche und Gesellschaft vor.

Die Landessynode ist das oberste Entscheidungsorgan der Landeskirche, die rund zwei Millionen Mitglieder zählt. Das Gremium hat 193 Mitglieder, von denen 164 stimmberechtigt sind. Wie bereits in den vergangenen zwei Jahren gibt es auch in diesem Jahr zwei reguläre westfälische Landessynoden. Der Haushalt für das kommende Jahr wird erst auf der Herbstsynode verabschiedet.

Am Sonntag ist die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen zu einem Auftaktgottesdienst in der Betheler Zionskirche zusammengekommen. (Archivbild, © epd-bild/ Reinhard Elbracht)

Das Vorbereitungsteam: (v.l.) Viola Steinhardt, Martin Bock, Superintendentin Dorothea Goudefroy, Antje Illeson-Labie, Helmut Schwartze, Pfarrerin Renate Webers

Predigt der Superintendenten zu 1. Samuel 3, 1-10

 

I. Hier bin ich – zwischen Bereitschaft und Aktionismus

Der Knabe beeindruckt mich. Dreimal springt er in dieser Nacht von seinem Schlafplatz auf und läuft zu Eli, dem alten, fast blinden Mann.

„Hineni - Hier bin ich!“

Samuel ist da, ohne zu zögern. Ganz gleich zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Er dient im Heiligtum in Silo, wo die Bundeslade steht. Das heißt vor allen Dingen: er dient Eli, dem Priester. Wenn der ihn ruft, ist er zur Stelle: Hineni!

Warum mich das so beeindruckt? Ihr ahnt es schon: ich selber bin nicht immer bereit, sofort aufzuspringen, wenn mich jemand ruft. Ich wäge ab und habe auch gelernt, dass es manchmal gut ist, gelassen abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Nicht immer sofort in Aktionismus zu verfallen.

Oder ist das nur ein Vorwand? Bin ich bereit, da zu sein? Sind wir es als Kirche?

In dem Buch zur Predigt "Hier bin ich" von Jonathan Safran Foer braucht der Protagonist Jacob nicht weniger als 683 Seiten, bis er sagen kann: Hier bin ich. Davor liegen Krisen, Auseinandersetzung mit der Religion, Familienprobleme, eine Affäre, der Zerfall der Welt, ein Computerspiel namens „other world“… Da sind Identität, Heimat und Zugehörigkeit infrage gestellt.

Hier bin ich – das ist manchmal hart erkämpft. Denn es heißt am Ende: ich bin da, wo ich bin. Stelle mich der Realität im hier und jetzt. Hoffe nicht auf ein woanders oder wann anders.

Hineni – hier bin ich!

Samuel kann das: da sein. Zur Verfügung stehen, so wie Jonas, der Konfirmand: „Hier bin ich. Was kann ich tun?“

Das Dumme ist nur: es ist gar nichts zu tun. Jedenfalls nicht für Eli.

II. Des Herrn Wort war selten in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit

Der hat nicht gerufen. Samuel läuft zum Falschen. So gibt es erst einmal eine gestörte Nachtruhe. Die ist aber nicht das Einzige, was gestört ist.

Zu der Zeit… war des Herrn Wort selten und es gab kaum noch Offenbarung. Elis Augen fingen an schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. … Und Samuel kannte den Herrn noch nicht…

Es ist eine schlaffe und glaubensarme Zeit, von der das 1. Buch Samuel berichtet. Der Kultbetrieb in Silo läuft, aber eine echte Begegnung von Gott und Mensch ist selten. Samuel, schon vor der Empfängnis Gott versprochen und seit frühester Kindheit im Tempel zuhause, kennt Jahwe nicht! In einem Halbsatz offenbart sich der ganze Abgrund.

Auch Eli ist nicht der glaubensstarke, weise Lehrer, den Samuel sich wünschen würde. Dass er nicht mehr sehen kann, stimmt wohl im Wortsinn, mindestens genauso aber auch im übertragenen: er verschließt die Augen vor dem schändlichen Verhalten seiner Söhne, die die Pilger schröpfen und ihnen den besten Teil der Opfergaben für den eigenen Genuss abnehmen, statt ihn als Opfer darzubringen.

Der Kultbetrieb ist so heruntergekommenen, dass man sich über die betende Hannah wunderte und sie für betrunken hielt! Niemand hat mehr ein offenes Ohr für Gottes Wort und auch keine Vision mehr für die Zukunft.

Die Kommentatoren warnen davor, die damalige Situation mit der heutigen gleichzusetzen. Das tue ich nicht! Viele Einzelheiten stimmen nicht.

Aber sind unsere Ohren offener für Gottes Wort? Haben wir Visionen für die Zukunft?

Wir denken viel darüber nach, entwickeln neue Strukturen, bilden Personalplanungsräume, schreiben Schutzkonzepte, empfehlen Menschen zur Prädikant:innenausbildung, vereinigen Kirchengemeinden, nehmen „alle“ mit, sparen Geld und bauen Fundraising auf, sorgen für Datensicherheit und einheitliche IT, stärken die Diakonie, stärken die Jugendarbeit, stärken das Ehrenamt, ertüchtigen Kirchen und Gemeindehäuser, werben Nachwuchs, werden klimaneutral, sind kreativ und sozialraum-orientiert, setzen uns für den Frieden ein…

Alles richtig. Alles wichtig.

Aber wo bleibt der Raum, da zu sein?

Wo ist die Stille, den Ruf zu hören?

III. Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen

Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war.

Wie gut: es ist noch nicht alles zu Ende. Die Lampe Gottes leuchtet noch, wie funzelig auch immer, in unsere unheilvolle, komplexe, selbstvergessene, sehnsüchtige Welt hinein. Licht und Heil.

Samuel schläft in diesem Licht und wird gerufen. In der Stille der Nacht kann er den Ruf nicht überhören. Er springt auf: Hier bin ich! Hineni!

Und dann gleich dreimal das absurde Verwechslungsspiel! Kennt denn Samuel Elis Stimme nicht? Kann er die Stimme Gottes nicht davon unterscheiden?

Der Text selber erläutert, dass Samuel den Herrn noch nicht kannte. Aber vielleicht will der Herr gar nicht anders klingen. Will in Menschen-Ton und -Wort hörbar werden.

Nicht in Donnergrollen und nicht in Gesäusel, sondern einfach im gesprochenen Wort zwischen Menschen. Verständlich und klar.

Aber eben doch zum Verwechseln ähnlich. Das Hinhören braucht Aufmerksamkeit, manches Mal einen Hinweis. So wie Eli dem Samuel rät: Sage beim nächsten Mal: „Rede, denn dein Knecht hört.“

IV. Gottes Wort hören

Ist euch aufgefallen, dass der Predigttext abbricht, bevor Gott spricht? Im 1. Buch Samuel kann man nachlesen, dass er viel und nicht nur Gutes zu sagen hatte. Aber all das ist zeitgebunden und tatsächlich nicht auf heute übertragbar.

Wie also spricht Gott heute? Ein Versuch:

Zum Beispiel so, wie in der Happy Hour, wo einer dem andern zur Quelle lebendigen Wassers wird.

Oder so, wie ich es beim Besuch des peruanischen Kollegen erlebte: wir hatten erzählt von der Situation unserer Gemeinde, von Mitgliederschwund und Stellenabbau, von unserer Verzagtheit. Da schaut mich der Kollege an und bittet, dass ich Jesaja 43,18f aufschlage:

Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr`s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.

Das trägt bis heute!

Ja, vielleicht klingt Gottes Stimme gar nicht so anders als die der Menschen um uns herum. Und geht doch nicht in ihr auf.

Ganz sicher klingt sie so, wie die Stimmen der Menschen, die über das Mittelmeer flüchten.

Und wie der Ruf nach Frieden.

V. Gottes „other world“

Gestern haben wir einander aufmerksam zugehört auf der Ökumenischen Konsultation zur Landessynode. Es ging um Frieden und Demokratie in Europa und den Beitrag der Kirchen.

Ich danke Ihnen, Rita Famos, für die Erinnerung daran, dass Gemeinschaft in Pluralität Toleranz und gutes Zuhören erfordert; ganz besonders das Hören der Mehrheit auf die Minderheit!

Ich danke Ihnen, Zoltán Balog, für die Erinnerung an die Kraft der friedlichen Demonstrationen für Freiheit Ende der 80er Jahre. Auch heute, sagen Sie, erwarten die Menschen in der Kirche und von der Kirche eine gelebte Gegengesellschaft.

Ich danke Ihnen, Marta Bernardini, für den Mut der kleinen Waldenserkirche, sich gegen den Mainstream für Geflüchtete und ihre Rechte einzusetzen; für die Kraft, die das entfaltet und die in die Gesellschaft hineinwirkt.

Gottes Gegenwelt, seine „other world“ scheint in jedem Ihrer Berichte auf. Kein Computerspiel, sondern eine neue Wirklichkeit!

Hannah singt nach der Geburt Samuels davon:

Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, …

… die Hunger litten, hungert nicht mehr.

Der Herr macht arm und macht reich;

er erniedrigt und erhöht.

Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub

und erhöht den Armen aus der Asche…

Gott verändert die Welt. Manchmal beginnt es mitten in der Nacht, scheinbar alltäglich mit einem Ruf, schon oft gehört.

Samuel! - Hineni! Hier bin ich.

Hier sind wir als Kirche. Mitten in unserer Welt, mitten in der kirchlichen Realität.

Wir sind gerufen. Wir hören. Wir sind bereit für Gottes andere Welt – Hier und Jetzt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Die Zionskirche wurde für den Anlass festlich geschmückt. (Foto: Maximilian Plöger)