Einer, der dranbleibt: Pfarrer Winfried Reuter in Vlotho verabschiedet

Erstellt am 10.06.2024

Eine clevere Idee hatte der Tischler, der die reformierte Kirche St. Johannis vor vielen Generationen ausgestattet hat: Versteckt an den Enden der Sitzreihen finden sich kleine Auszüge, Notbänke für den Fall, dass der Platz in Vlothos kleinster Kirche knapp wird. Sie kommen selten zum Einsatz, doch die Verabschiedung von Pfarrer Winfried Reuter am Sonntag war so ein Fall: Über 150 Gäste waren gekommen, um den beliebten reformierten Pfarrer in den Ruhestand zu senden.

Vielfältig und vielsprachig kam der Gottesdienst daher, wenn auch nicht so vielsprachig wie der bekannt sprachbegabte Winfried Reuter selbst. Aus dem slowakischen Rimaszombat überbrachten Vertreter der ungarisch-sprachigen Partnergemeinde den Segen zum Ruhestand. Mit Unterstützung des Projektchors um Peter Ausländer gab es deutsche und englische Lieder und sogar ein Schlusslied auf Kisuaheli, auch wenn die Gäste aus dem Partnerkirchenkreis Tambarare in Tansania es nicht rechtzeitig geschafft hatten. Der Posaunenchor Exter-Bonneberg war unter der Leitung von Ralf Fabri dabei, um die Verabschiedung des Pfarrers zu begleiten, der ab 2015 auch auf dem Bonneberg tätig war - obwohl er nur eine halbe Stelle innehatte.

Unbedingter Respekt vor den Menschen

Seit 2008 konnte die kleine reformierte Gemeinde nur noch eine halbe Pfarrstelle halten. Aber es war für Winfried Reuter nie eine Option, sich auf eine andere Stelle zu bewerben. Seine Antwort auf die Frage, warum er denn dranbleiben würde, zeigte sein uneigennütziges Denken: „Was wäre dann aus St. Johannis  geworden, wenn die Gemeinde keinen anderen Pastor gefunden hätte?“ 1993 war der aus dem Siegerland stammende Pfarrer nach seinem Vikariat in Hannover und Probedienst in Hiddenhausen in die Weserstadt gekommen, zusammen mit seiner Ehefrau und schon sehr bald mit dem gemeinsamen Sohn Niklas. Er wolle doch erst einmal die Gemeinde kennenlernen, bevor er ihr seinen eigenen Stempel aufdrückt, zitierte Superintendentin Goudefroy aus seiner Bewerbung.

Es sei dieser unbedingte Respekt vor den Menschen und ihren Wünschen und ihrem Glauben, der ihn ausmache, und ein ethischer Anspruch, den er mit einem Psalmenwort als „Lust am Gesetz des Herrn“ ausgedrückt hatte. Das war für ihn ganz praktisch gemeint: Aus Gerechtigkeitsempfinden leistete er, als Theologiestudent eigentlich vom Wehrdienst befreit, seinen Zivildienst beim DRK. Wissenschaftliche Präzision und persönliche Ehrlichkeit treiben ihn an. Er ist bekannt für seine genau durchdachten Redebeiträge und sein Nachbohren bei Diskussionen, und mit typischer Genauigkeit korrigierte er auch das Grußwort der Bonneberger Gratulanten, die seinen Mangel an Eitelkeit lobten: „Uneitel bin ich nicht.“

Immer engagiert für den christlich-jüdischen Dialog

Winfried Reuter zeichnet auch die Vielfalt seiner Arbeit aus, von den vielen Kontakten und Gesprächen mit den Menschen seiner Gemeinde, zum Gesang im Projektchor oder zur Flüchtlingsarbeit, und immer wieder: der christlich-jüdische Dialog. Nicht nur hält Winfried Reuter auch im Ruhestand die synodale Beauftragung hierfür; er brennt auch persönlich für das Verhältnis mit der älteren Geschwisterreligion, dem er auch einen Großteil seiner letzten Predigt vor dem Ruhestand widmete. Winfried Reuter setzt sich tief mit den theologischen Fragen dieses Verhältnisses auseinander, aber er ist auch gesellschaftlich engagiert, im offenen politischen Statement oder bei kulturellen Angeboten, oft zusammen mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Man glaubt ihm, wenn er in seiner Predigt sagt, dass er die Synagoge und die alte jüdische Schule in Vlotho, lange vor seiner Ankunft in Vlotho zerstört, persönlich vermisst.

Sein Engagement galt auch der Entwicklung seiner reformierten Gemeinde in der Region Vlotho. Mit viel Einsatz hat er den Vereinigungsprozess begleitet, nicht, ohne alles genau durchzudenken und auch kritische Stimmen zu hören. „Dinge durchzutragen“ sei sein Markenzeichen, sagte Dorothea Goudefroy in ihrer Ansprache zur Verabschiedung, und so hat Winfried Reuter die Johannis-Gemeinde durch den Prozess hindurch- und das reformierte Element in ihn hineingetragen. „Nun gilt es, das reformierte Erbe auch in Zukunft erkennbar zu machen“, schloss die Superintendentin mit einem positiven Ausblick, denn Winfried Reuters Wirken habe Früchte getragen und werde dies auch über den Ruhestand hinaus noch tun.

Nach Ende des Gottesdiensts zog die Gemeinde wie ein Lindwurm durch die Stadt zum abschließenden Zusammensein. Seiner Art entsprechend fand man Winfried Reuter dabei nicht zum Gemeindehaus an der Moltkestraße vorausgeeilt oder an der Spitze der Festgemeinde, sondern irgendwo in der Mitte, vertieft ins Gespräch mit seinen Gemeindegliedern.

Pfarrer Winfried Reuter bei seiner Verabschiedung mit seinem Amtskollegen Sandor Molnar aus Rimsazombat (l.)