Zwei Gestapomänner gaben am 16.3.1934 dem kirchlichen Widerstand gegen den NS-Staat ungewollt Starthilfe: Sie waren in Dortmund erschienen, um die westfälische Provinzialsynode aufzulösen. Nur 49 Minuten hatte die Synode tagen können, bevor die Staatsgewalt sie wegen ihres Eintretens gegen die NS-Kirchenpolitik zu unterdrücken suchte. Der Versuch misslang: Es brauchte nur einen Kilometer Fußweg durch die Stadt, und die Synodalen konnten sich im Johanneum, der heutige Zentralmoschee, wieder versammeln. Aus der regulären Synode wurde die erste Westfälische Bekenntnissynode, immer verbunden mit dem Mann, der sie leitete: Karl Koch, Präses, Superintendent des Ev. Kirchenkreises Vlotho und langjähriger Pfarrer in Bad Oeynhausen. Sein Wort zum Auftakt wurde namensgebend für die Bekennende Kirche: „Die Zeit des Bekennens ist gekommen.“
In Witten an der Ruhr geboren, ist Karl Kochs Lebensweg untrennbar mit dem Kirchenkreis Vlotho verbunden: Sein erstes Amt nach seiner Ausbildung trat er zum Jahreswechsel 1904 als Pfarrer in Holtrup an. In Eisbergen heiratete er die Pfarrerstochter Sophie Engeling. Nach einer kurzen Periode in Bünde wurde er 1916 Pfarrer in Bad Oeynhausen, ein Amt, das er bis zum Ruhestand behielt. Seit dem ersten Weltkrieg war er auch politisch engagiert. Als Mitglied der preussischen verfassungsgebenden Versammlung und Abgeordneter der rechtskonservativen DNVP erlebte er die turbulenten Weimarer Jahre mit. Gleichzeitig begann sein Aufstieg in die Kirchenleitung: 1927 wurde er zum Superintendenten des Kirchenkreises Vlotho und kurz darauf zum Präses der damaligen Kirchenprovinz Westfalen gewählt.
Das Jahr 1933 brachte den im Kirchenkreis als bodenständigen Pragmatiker wahrgenommenen Superintendenten landesweite Prominenz im Kampf gegen die NS-Kirchenpolitik. Zusammen mit dem Erstarken der NSDAP hatte sich auch die nationalistische Bewegung in der Kirche in Form der Deutschen Christen (DC) ausgebreitet und propagierte eine rassistische, das jüdische Erbe im Christentum leugnende und von der Naziideologie durchsetzte Kirche. Der Gütersloher DC-Anhänger Ludwig Müller wurde im August 1933 zum Reichsbischof ernannt, nachdem Friedrich von Bodelschwingh das Amt nicht antrat und sich später in der Bekennenden Kirche engagierte. Das Amt war nach dem Führerprinzip gestaltet und gegen die synodalen Prinzipien der evangelischen Kirchen im NS-Staat eingeführt worden. In Münster wurde Bruno Adler als evangelischer Bischof der Kirchenprovinz Westfalen eingesetzt, auch er, wie Reichsbischof Müller, ein frühes NSDAP-Parteimitglied und auch er in einem der alten Kirchenstruktur aufoktroyierten Fantasieamt. Gegen diese Entwicklungen und den Geist, der sie antrieb, hatten sich die Synodalen in Dortmund gestellt.
Nach den Ereignissen in Dortmund wurde Karl Koch am folgenden Mittwoch, dem 21. März, von Reichsbischof Ludwig Müller zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Mit widerständischem Geist und einem gewissen ostwestfälischen Starrsinn ignorierte Karl Koch dies jedoch und blieb aktiver Kirchenpolitiker in der Zeit des Kirchenkampfs. Er war bereits seit Herbst 1933 Mitglied des Pfarrernotbundes, in dem sich die Vordenker der Bekennenden Kirche wie Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer versammelt hatten, die angesichts der NS-Ideologie und der nationalsozialistischen Kirchenpolitik schon früh den Bekenntnisnotstand erkannten. Karl Kochs Rolle war die eines Organisators und Netzwerkers. Er bemühte sich um ökumenische Kontakte und war noch im August 1934 an Dietrich Bonhoeffers Seite auf der dänischen Insel Fanø zur gemeinsamen Tagung des Weltbunds für Freundschaftsarbeit und Rats für Praktisches Christentum, den Vorläufern des heutigen Ökumenischen Rats der Kirchen. Durch die 1930er Jahre leitete er Bekenntnissynoden auch über seine westfälische Heimat hinaus. Die wichtigste unter ihnen sollte bereits im Mai 1934 folgen: die Barmer Bekenntnissynode, auf der unter der Leitung von Karl Koch die Barmer Theologische Erklärung angenommen wurde.
Am 31. Mai jährt sich die Annahme der Barmer Theologischen Erklärung zum 90. Mal. Sie hat von Anfang an die Haltung der Bekennenden Kirche klargestellt: Nicht Führer oder Reichsbischof, sondern Jesus Christus sei zu vertrauen und zu gehorchen. Die maßgeblich von Karl Barth entworfene Erklärung hat in verschiedenen Landeskirchen den Status einer Bekenntnisschrift und wirkt bis in die Gegenwart in vielfältigen kirchlichen und kirchenpolitischen Fragen weiter. Auch Karl Kochs Wirken ließ in Westfalen und im Kirchenkreis Vlotho bleibende Spuren: Seinem Einsatz ist zu verdanken, dass aus der ehemaligen preußischen Kirchenprovinz Westfalen die eigenständige Evangelische Kirche von Westfalen wurde. Vierzehn Jahre nach der versuchten Zwangspensionierung trat Karl Koch zum Jahreswechsel 1949 schließlich in den Ruhestand. Er starb zwei Jahre später in Bad Oeynhausen und wurde in Werste bestattet.
Superintendent und Präses, D. Karl Koch