Antisemitismus in der Theologie: Vortrag der Ev. Erwachsenenbildung im Wichernhaus

Erstellt am 05.03.2024

Von Frank Meier-Barthel

Das Interesse an der Veranstaltung, die die Ev. Erwachsenenbildung gemeinsam mit der Emmaus-Kirchengemeinde in Bad Oeynhausen organisiert hatte, war groß: 50 Gäste fanden sich am Donnerstagabend, den 29. Februar, im Wichernhaus zum Vortrag „Die Schattenseite des Christentums“ ein. Unter diesem Titel hat Prof. Dr. Andreas Pangritz 2022 eine Darstellung der antisemitischen Tradition in der protestantischen Theologie veröffentlicht. Pangritz, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Universität Bonn, setzte in seinem Oeynhausener Vortrag zwei Schwerpunkte: Luther und die Bekennende Kirche.

Im ersten, etwa halbstündigen Teil beschäftigte er sich mit dem Reformator. Auch wenn der Mehrheit der Anwesenden bekannt gewesen sein wird, dass Martin Luther antisemitische Schriften verfasst hatte, so schüttelten dennoch viele den Kopf angesichts der von Pangritz vorgetragenen Zitate aus Luthers Werk. Luthers Ausdrucksweise war aggressiv. Inhaltlich lief seine Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ aus dem Jahr 1543 auf die Forderung hinaus, Synagogen niederzubrennen, Rabbinern „bei Leib und Leben“ die religiöse Praxis zu verbieten und die jüdische Bevölkerung zu vertreiben. Pangritz führte weiter aus, dass der Antisemitismus kein Randthema in Luthers Theologie sei, sondern ein grundsätzlicher Bestandteil. Die daran anschließende Diskussion zeigte, dass im Publikum mehrere Menschen mit Vorwissen zum Thema saßen, sodass ein fruchtbares, informatives Gespräch entstand.

Im zweiten Teil des Abends sprach Prof. Dr. Pangritz über einige Mitglieder der Bekennenden Kirche, die in Opposition zum Dritten Reich stand. So ging es um Dietrich Bonhoeffer, der im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde, nachdem er in vielfältiger Weise Widerstand geleistet und mehrfach die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung angeprangert hatte. Sein in Haft geschriebenes Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ ist heute der Text eines der beliebtesten Kirchenlieder, und sein Wirken dient vielen Christen als Vorbild. Pangritz stellte fest, dass die antisemitische Tradition in der protestantischen Theologie sogar im Werk dieses aufrechten Menschen Spuren hinterlassen habe, etwa, wenn Bonhoeffer das Judentum darüber definierte, dass es Jesus Christus gekreuzigt habe und dafür in seiner Geschichte leiden müsse. Einen Ausweg sah Bonhoeffer nur darin, dass Juden zum Christentum konvertierten. Dieser Standpunkt, so Pangritz, sei typisch für die Bekennende Kirche gewesen und wurde von mehreren ihrer Mitglieder noch nach 1945 vertreten. Wegen des hohen Ansehens der Bekennenden Kirche wirkten diese Ausführungen auf viele Anwesende zweifellos desillusionierend.

Wegen der schon fortgeschrittenen Zeit folgte keine weitere Diskussion im Plenum, aber mehrere Teilnehmende tauschten sich auch nach der Veranstaltung im und vorm Wichernhaus in kleinen Gruppen über dem Vortrag aus. Es bestand die allgemeine Auffassung, dass sich die evangelische Kirche immer wieder kritisch mit ihrer Tradition auseinandersetzen müsse, auch wenn dies für viele Gläubige schmerzhaft sei. Gemeinsam mit der Ev. Erwachsenenbildung wird die Emmaus-Gemeinde auch im zweiten Halbjahr 2024 eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zu einem brisanten Thema durchführen.

Prof. Dr. Andreas Pangritz