Das war ein famoser Auftakt in den „runden Geburtstag“ des Literaturfestivals, das in diesem Jahr zum 20. Mal veranstaltet wird: Mit tief- und hintersinnigen Texten der Literatur-Titanin Elke Heidenreich ging es in einem Streifzug durch christliches Gedankengut und in ganz persönlicher Färbung auch durch ihre eigenen „Glaubensbekenntnisse“ - und zwar bisweilen in erdfestem Humor. Dagegen setzten sich die fünf Vokalisten des Leipziger Calmus Ensembles mit wahrlich himmlischen Klängen ab: in Vertonungen, die von der Renaissance bis zum Pop-Poeten Leonard Cohen reichten – und auch im Evangelischen Gesangbuch Anleihe machten.
Um „das Helle und das Dunkle“ ging es. Um den großen Gott und die gefühlte Not in seiner bedrohten Schöpfung. Aber auch um Vertrauen und Freundschaft, um Trost, Glauben und Zuversicht. Eine thematische Premiere, für die, so stellte Elke Heidenreich in ihrer Begrüßung voran, es nicht einmal eine Generalprobe gegeben hatte. Umso mehr erstaunte, wie tief Text und Gesang ineinander verwoben waren. Wie nämlich ein Impuls, der von der Musik ausging, sich im gesprochenen Wort abbildete – und umgekehrt. Eine Symbiose, die nicht nur unter den Mitwirkenden spürbar war, weil Elke Heidenreich und die Leipziger Vokalisten einander seit Jahren in Freundschaft verbunden sind. Sondern die auch die Gäste in der Auferstehungskirche mitzunehmen wusste in ein tiefes Gottvertrauen, das der Singer-Songwriter Leonard Cohen in seinem Song „Anthem“ in Worte gefasst und durch sie unter anderem den Tenor dieses besonderen Abends bestimmt hat: „Theres a crack in everything. Thats how the light gets in“ (übersetzt: Da ist ein Riss in allem, und dadurch kommt das Licht hinein).
Denn, so erzählte Elke Heidenreich, wer, wie sie als Sechzehnjährige, in Rom die Pieta gesehen habe, dieses edle, in Marmor gefasste Gefühl mütterlicher Trauer, der könne vermutlich auch das Entsetzen nachvollziehen, das den Besucher überkommt, der die mutwillige Beschädigung der Michelangelo-Skulptur, nunmehr hinter Glas geschützt, zur Kenntnis nehmen muss. Dieser „crack“, dieser Riss, allerdings klang wunderbar zart in der Mehrstimmigkeit des Vokalensembles, das Leonard Cohen`s legendäres Anthem direkt im Anschluss vortrug. Ausgehaucht und weggeflüstert verklang die letzte Zeile des Songs und überließ die Zuhörer einen Moment lang der Kraft der Stille. Ein ebenso außergewöhnlicher Hörgenuss waren die kurzen Vertonungen von Psalmen des italienisch-jüdischen Komponisten Salomone Rossi, allesamt in hebräischer Sprache gesungen. Im Wechsel mit Auszügen aus Bachs Johannes-Passion und im Nachgang zu Paul Gerhardts Lied über die güldene Sonne wirkten diese akustischen Kleinode wie hergeweht aus fernem Land und ferner Zeit.
Elke Heidenreich scheute auch nicht den tieferen Blick in ihr eigenes Gottesbild mit seinen kraftvollen wie mit seinen fragwürdigen Seiten. In einer kurzen Sequenz über den Abschied von einer Freundin im Sterbehospiz beschrieb sie den Reichtum bunter Lebensbilder vor dem Hintergrund dieser letzten Begegnung. Wie einen Segen breitete anschließend das Calmus Ensemble den Choral „Befiehl Du Deine Wege“ vor den Zuhörern aus, gefühlvoll und in kraftvoller Mehrstimmigkeit. So sehr die Literatur-Expertin Heidenreich für ihre pointierte, bisweilen scharfzüngige Sprache geschätzt ist, so ist sie gleichermaßen beliebt für ihren bodenständigen Humor. In dem Text „Brief an den Heiligen Antonius“ appellierte sie an dessen Wunderkraft – aber nicht ohne Augenzwinkern. Denn wer Verlorenes zurückbringen könne, so sinnierte sie, könne vielleicht auch dem Verlust des menschlichen Verstandes entgegenwirken. Und wer ein Brotwunder vollbringen kann, der möge auch gegen den Welthunger einschreiten. „Raus aus dem Himmel, ran an die Arbeit“, lautete ihr Appell, der bei allen ernsten Zwischentönen doch für viel Heiterkeit im Publikum sorgte.
Man hätte noch so viel länger lauschen mögen, diesem Dialog aus klugem Witz und wachem Geist von Deutschlands Literaturfrau Nummer eins, umrahmt vom hohen Niveau erlesener Vokalkultur. Dem Talking Blues von Manuel Helmeke zum Beispiel, der mit seinem warmen Bass „Born in Chains“ interpretierte. Oder dem glockenhellen Sopran-Solo von Anja Pöche zum Ausklang von „Nun ruhen alle Wälder“. Der Klangraum Kirche bot dafür ein exzellentes Forum, das unweigerlich die Verbundenheit von Kirche und Kultur außer Frage stellte. Kein Zufall also, dass die Eröffnungsveranstaltung unter dem Signum des Kulturreferats "KuK!" stand. Der eindrucksvolle Abend klang aus mit einer Referenz an den Trost - den göttlichen wie den zwischenmenschlichen. Und das Calmus Ensemble schickte mit Leonard Cohen`s Klassiker „Hallelujah“ ein letztes Mal seine strahlende Vokalkraft in den Raum. Mit stehenden Ovationen bedankten sich die Zuhörer bei den Mitwirkenden. Die Künstler wiederum fanden die schönste Form der Anerkennung für ihr begeistertes Publikum: die Zugabe.