Wenn die Welt stillsteht

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Wenn die Welt stillsteht

Von Gesina Prothmann

Es gibt Momente im Leben, in denen ein einziger Satz alles verändert. Für Katharina Urban war es jener Augenblick, in dem die Ärztin zu ihr sagte: „Es tut mir sehr leid, ihnen das sagen zu müssen, aber wir können bei ihrem Baby keine Herztöne mehr feststellen“. Wie durch eine Mauer hört sie die Worte der Ärztin, an dem Tag, an dem die Welt eine andere für sie und ihren Mann Tobias wurde. 

Der Arztbesuch, der als eine ganz normale Vorsorgeuntersuchung in der 33. Schwangerschaftswoche geplant war, veränderte alles. Ein Termin, der eigentlich wieder ein Lächeln, ein Bild vom Baby, ein Stück Vorfreude bringen sollte. Stattdessen fiel die Welt der zukünftigen Eltern in sich zusammen. Katharina weinte und schrie in ihrer Verzweiflung und Trauer. Sie wollte nur noch, dass Tobias so schnell wie möglich an ihrer Seite ist. Später erfuhren sie: Ihr Kind war schon seit zehn Wochen tot in ihrem Bauch. 

Um ihr Kind zur Welt zu bringen, musste sie im Krankenhaus bleiben. Damit sie dies so würdevoll wie möglich tun konnte, bekamen sie und ihr Mann ein Einzelzimmer auf einer Normalstation. Es ist ein Raum, in dem sie niemand drängt und der ihren Schmerz hält. 

Als die Geburt eingeleitet wurde, wartete sie sieben Tage lang auf Wehen. Als sie endlich da waren, brauchte es 23 Stunden, bis ihr erstes Kind zur Welt kam: Hannah Sophia, die Tochter, die sie beide mit Liebe erwartet hatten und mit gebrochenen Herzen empfangen mussten. 

Durch diese schweren Tage begleitete das Paar die Klinikseelsorgerin Elisabeth Arning. „Sie war einfach da, hat Ruhe ausgestrahlt, war mitten dabei in dieser schweren Zeit. Das wünsche ich jedem, dem das passiert. Unsere Tochter kam erst, als ich sie loslassen konnte. Bei diesem Prozess hat die Pfarrerin mir sehr geholfen“. 

Bei und nach der stillen Geburt ihrer Tochter fühlten sich die beiden durch die Hebammen im Klinikum Bad Oeynhausen liebevoll umsorgt. Sie bekamen alle Zeit der Welt. Sie durften sie halten, streicheln, ihren Namen sagen, sich von ihr verabschieden. Sie nutzten die kostbaren Augenblicke und versuchten zugleich, das Unfassbare ein Stück weit zu begreifen. 

Zuhause angekommen ist nichts mehr, wie es war. Arbeiten? Unmöglich. Lächeln? Schwer. Weitermachen? Kaum vorstellbar. Beide nehmen sich drei Monate Zeit, um zu trauern, um zu schweigen, um zu reden. Vor allem zu reden. 

„Was uns geholfen hat war erzählen, erzählen und weinen. Und auch unsere Freunde und die Familie waren toll. Sie kamen vorbei und hörten sich auch das x-te Mal an, was wir zu sagen hatten. Und einfach machen, was einem guttut, sowie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Aber auch unsere Hobbys, mit denen wir uns ablenken konnten waren wichtig, um wieder Kraft zu bekommen. Und auch eine Facebook-Gruppe, in der Betroffene ihr gemeinsames Leid teilen und einander von aktuellem Schönen und Schweren berichten. Dort wird die tiefe Trauer über den Verlust eines Kindes geteilt, wie auch ein positiver Schwangerschaftstest“.

Der Verlust hat Spuren hinterlassen. Das Paar versuchte, auch etwas positiv zu verändern: Für Tobias stand fest: „Es muss sich etwas ändern. Leben ist so kostbar.“ Er nahm viel ab, und beide leben seit diesem Erlebnis viel bewusster. Die Familie steht dabei an erster Stelle und eine Handvoll Freunde. Hannah Sophia bleibt dabei unvergessen: Zuhause erinnert ein Foto an sie, ein winziger Fußabdruck und eine Erinnerungskiste. Draußen haben sie die Grabstätte auf dem Friedhof, den die Familie jede Woche besucht. In ihrem Herzen ist sie vom ersten Tag an für immer geblieben. 

Aber es blieben auch Fragen, die keine Antworten fanden. Misstrauen gegenüber dem eigenen Körper, der eigentlich schützen sollte. Eine Obduktion bringt etwas Klarheit: Eine Gerinnungsstörung hatte wahrscheinlich den Tod ihrer Tochter verursacht. 

Als Katharina später erneut schwanger wird, mischt sich Freude mit Angst. Doch diesmal wird sie vom HDZ-NRW Bad Oeynhausen medizinisch eng begleitet. Und dann passiert das, worauf sie sich so gefreut haben: Vor zwei Jahren wird ihr zweites Kind, Sohn Leon, geboren. 

Dieses Jahr im November ist ihre Tochter drei Jahre tot. Zweimal im Jahr gibt es die Möglichkeit, sich in der Gemeinschaft an verlorene Sternenkinder zu erinnern. Alle Sternenkindeltern, -großeltern und Geschwisterkinder, egal wie viel Jahre oder Jahrzehnte der erlebte Verlust zurückliegt, sind herzlich eingeladen an jedem ersten Samstag nach Pfingsten und am Samstag vor dem 3. Advent.


Der nächste Erinnerungsgottesdienst mit Beisetzung der in der zweiten Jahreshälfte still geborenen Kinder findet am 13. Dezember um 15 Uhr in der Kapelle auf dem Friedhof am Schwarzen Weg 44 durch Pfarrerin Gesina Prothmann statt.

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