Vertrauen

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# Andacht

Vertrauen

Am 3. Oktober haben wir 35 Jahre deutsche Einheit gefeiert. Die Bedeutung der Ereignisse, die zu diesem Datum geführt haben, zeigt sich schon an dem folgenden Gedanken: Was würde der Krieg zwischen Russland und der Ukraine mit unserem Land machen, wenn der Osten immer noch von Moskau gesteuert wäre - wie zu Zeiten der DDR? Deutschland stünde vor einer Zerreißprobe. 

Ich selbst habe 1989 in Leipzig studiert und kann aus meiner Erfahrung sagen: Gott sei Dank gab es eine Demokratie-Bewegung in der DDR, die sich getraut hat, die Machthaber mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ herauszufordern. Und Gott sei Dank führte das zur friedlichen Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland.

Auch nach 35 Jahren sind Unterschiede zwischen West und Ost festzustellen. Nach meiner Beobachtung sind Menschen, die in der DDR erzogen worden sind, von einem größeren Misstrauen geprägt als Menschen, die im Westen Deutschlands erzogen worden sind. Demokratie setzt aber Vertrauen in die Fähigkeit des Menschen voraus, dass Richtige zu entscheiden, zum Beispiel bei Wahlen, sofern sie frei und gleich sind. Eine Diktatur speist sich aus dem Misstrauen: Der Diktator hat Angst vor dem Volkswillen und der Untertan hat Angst vor dem Herrscher. Angst führt zu Misstrauen. 

In der Demokratie braucht es keine Angst, denn der Untertan ist zugleich Herrscher und der Herrscher ist zugleich Untertan. Anders formuliert: In der Demokratie geht alle Macht vom Volk aus: Das Volk wählt Regierungen nach der Maßgabe der eigenen Vernunft. Und: das Volk wählt Regierungen wieder ab. Da braucht es keine Angst voreinander. Wo kein Platz für Angst ist, da wächst Vertrauen. 

Die Kirche hat lange gebraucht, um die Demokratie als Staatsform zu bejahen. Denn sie ist davon ausgegangen, dass Gott Regierungen einsetzt und absetzt. Sie konnte aber nicht erkennen, dass Gott tatsächlich auch in einer Demokratie – also durch den Willen des Volkes – wirken kann. 

Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden. Kann Gott sein Vertrauen in das Mensch-Sein deutlicher zum Ausdruck bringen? Nein, kann er nicht. 


Zuerst erschienen in der Neuen Westfälischen, 4. Oktober 2025

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