
06/08/2025 0 Kommentare
„Es ist der Mensch, der uns angeht“
„Es ist der Mensch, der uns angeht“
# Neuigkeiten

„Es ist der Mensch, der uns angeht“
Zeit: Das ist das Wort, das im Gespräch immer wieder fällt. Es geht um die Zeit, die das durchökonomisierte Gesundheitssystem den Menschen in den Kliniken lässt, den Mitarbeitenden wie den Patienten. Es geht um die Zeit, die Menschen auf Reha haben, um sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Und es geht um die tieferen Fragen, die ihnen in dieser Zeit begegnen. Ihnen zur Seite steht dabei auch das Team der Seelsorge in den Rehakliniken: Pfarrer Bernd Kollmetz und Uwe Rosner und Gemeindepädagogin Bärbel Meyer im Gespräch.
Über 3000 Betten stehen für Kurgäste oder, in der Fachsprache, Rehabilitanden in Bad Oeynhausen bereit. Mit vielen von ihnen im fliegendem Wechsel, Angehörigen auf kürzeren oder längeren Besuchen, Akutfällen und ambulanten Patienten sind es viele zehntausend Menschen, die jedes Jahr in die Kurstadt kommen. Was viele von ihnen eint, ist die Ausnahmesituation in der sie sich befinden: meist fern von zuhause, oft mit körperlichen oder seelischen Sorgen belastet, manchmal mitten in lebensverändernden Krisen. Neben medizinischem, psychologischem und Pflegepersonal steht ihnen auch das Team der Seelsorge in den Rehakliniken zur Verfügung: Pfarrer Uwe Rosner an den Kliniken Bad Oexen und Porta Westfalica, Gemeindepädagogin Bärbel Meyer an der Gollwitzer-Meyer-Klinik und der Klinik am Rosengarten und Pfarrer Bernd Kollmetz in den Johanniter-Ordenshäusern.
"In jedem Menschen begegnet uns eine ganze Welt"
„Die Menschen hier sind immer wieder erstaunt, dass wir Zeit für sie haben“, berichtet Uwe Rosner. „Viele Gespräche beginnen mit einer Entschuldigung: ‚Entschuldigen Sie, dass ich ihnen ihre kostbare Zeit stehle‘.“ Dabei sei es doch seine Aufgabe, für sie da zu sein, ob in einer Andacht, im geplanten Gespräch oder in der kurzen Begegnung auf dem Flur. Das gilt, auch wenn die drei Seelsorgeprofis ebenso mit den Anforderungen einer hektischen Arbeitswelt umgehen müssen wie die anderen Mitarbeitenden in den Kliniken oder ihre Fachkollegen in den Gemeinden. Und das Kostbarste sei doch nicht die Zeit an sich, betont Bernd Kollmetz, sondern es sei die Zeit, die im Gespräch, in der Begegnung verbracht wird. „In jedem Menschen begegnet uns eine ganze Welt“, sagt der evangelische Seelsorger mit Verweis auf den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber.

Die drei Seelsorgeprofis bringen je ihren eigenen Touch und Charakter in das Gespräch im Außenbereich der Klinik am Rosengarten und in ihre tägliche Arbeit mit. Bernd Kollmetz ist mit seinem britisch angehauchten hanseatischen Stil eine unverkennbare Präsenz in den Johanniter-Ordenshäusern. Anders Uwe Rosner, gut gelaunt, aber auch ein Freund offener Worte, markant wie seine oft floral gemusterten Hemden. Ein Typ, mit dem man leicht ins Gespräch kommt, „als würdest Du alle seit jeher kennen“, wie seine Kollegin Bärbel Meyer bewundernd einwirft. Die Gemeindepädagogin und Sozialpädagogin ist erst im letzten Jahr aus der Jugendarbeit in die Seelsorge in den Rehakliniken gewechselt und bringt eine spürbare Begeisterungsfähigkeit mit in ihren neuen Aufgabenbereich.
Zeitverdichtung im Gesundheitswesen
Bernd Kollmetz übergibt seine Aufgaben in den Johanniter-Ordenshäuser in diesen Wochen an seine Nachfolgerin, Andrea Rose. Im Rückblick auf seine lange Zeit in den Kliniken erlaubt er sich auch einen kritischen Blick. „Was alle Mitarbeitenden im Gesundheitssystem erleben, ist eine unheimliche Zeitverdichtung“, betont er. Auch wenn sein eigener betriebswirtschaftlicher Hintergrund ihn die Zwänge im System verstehen lässt, sorgt er sich um die Arbeitssituation im Gesundheitswesen. „Es ist eine enorme Belastung, dass sie oft nicht mehr das erfüllen können, was sie in diesen Beruf gebracht hat: Der Wunsch, für den Mitmenschen da zu sein.“

An dieser Stelle können die Seelsorger einspringen, ein offenes Ohr haben, Rehabilitanden zu schwierigen Gesprächen begleiten und, ein Stück weit, als Übersetzer zwischen Alltagssorgen und Klinikwelt agieren, auch manchmal einfach an den richtigen Ansprechpartner in der Einrichtung verweisen. Man kennt sich, das merkt man schnell, wenn man Uwe Rosner, Bärbel Meyer oder Bernd Kollmetz durch die Kliniken begleitet: hier ein schneller Gruß, dort ein „Sehen wir uns später noch?“. Auch das Team im Klinikcafé kennt man. Nicht selten hören sie von Mitarbeitenden, wie Bärbel Meyer zugibt: „Wie gut, dass sie da sind.“
Kirche hört nicht an der Gemeindegrenze auf
Für die Mitarbeitenden aus der Region ist die Seelsorge da, aber natürlich besonders für Gäste aus anderen Regionen. Viel Aufwand für Menschen, die nur ein kurzer Aufenthalt in die Kurstadt bringt? Alle drei weigern sich, solche Unterscheidungen zu machen: Jeder Mensch sei irgendwann irgendwo nur kurzzeitig Gast, und Kirche höre auch nicht an der Gemeindegrenze auf. So versteht auch Bernd Kollmetz den christlichen Auftrag: „Es ist der Mensch, der uns etwas angeht“, auch wenn er oder sie eigentlich nur auf der Durchreise sei - wie es übrigens sowohl der Notleidende und der Helfer in der Geschichte vom barmherzigen Samariter waren, wirft der Seelsorger ein.

Es sind Beziehungen auf Zeit. Drei Wochen, vielleicht fünf Wochen: Mehr gibt es für die meisten Patienten nicht. Man denkt es nicht, aber gerade die klar begrenzte Begegnung kann ein Vorteil für die Seelsorgearbeit sein. Natürlich gibt es „Wiederholungstäter“, wie Uwe Rosner sie im Scherz nennt: Besucher, die man kennt und alle paar Jahre wiedersieht. „Es ist schön, wenn man dann hört, dass dieses eine Gespräch oder diese eine Andacht in Erinnerung geblieben ist. Gelungene Begegnungen haben einen hohen Wert.“ Auch nach Jahrzehnten als Seelsorger gibt er zu, er sei „manchmal erstaunt, wie nachhaltig die Begegnungen waren.“ Dies sei aber kein Monopol der Rehaseelsorge. Auch in der Gemeindearbeit und in vielen anderen Arbeitsbereichen sei es oft die eine Begegnung mit der Kirche, die schöne Hochzeitsfeier, das tröstende Trauergespräch oder der Besuch in einem evangelischen Kindergarten, die in Erinnerung bleiben.
"Ich wurde gelebt, jetzt lebe ich."
Worum geht es in den Gesprächen? Das Seelsorgegeheimnis hält, und die drei Seelsorger erzählen nichts über einzelne Begegnungen. Dass es eine breite Spannbreite an Themen ist, wird jedoch schnell klar. Vom einfachen Schwatz reicht es bis zu ernsten Fragen über Lebens- und Berufsbiographien, die von Krankheit jäh unterbrochen wurden, immer mehr auch durch die Spätfolgen der Corona-Pandemie. Für diese Vielfalt an Fragen haben die drei Seelsorgeprofis einen gemeinsamen Ansatz: Sie wollen den Menschen keine fertigen Antworten mitgeben, sondern gemeinsam auf die Suche gehen, denn jeder Fall ist unterschiedlich, und auch die Anforderungen ändern sich über die Jahre. Einen Satz aus einem Gespräch verrät Bernd Kollmetz dann doch, denn dieser bleibe ihm auch an der Schwelle zum Ruhestand in Erinnerung: „Ich musste erst krank werden, um zu lernen, was Leben heißt. Ich wurde gelebt, jetzt lebe ich.“
Kommentare