Die Saat geht auf

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Die Saat geht auf

Ein Friedhof, eingeklemmt zwischen A2, Autobahnzubringer und Ortseinfahrt: Kein Ort, an dem man das blühende Leben erwartet. Doch der Friedhof an der Autobahnkirche Exter bietet genau das in Hülle und Fülle. Ein Spaziergang mit dem Team der sogenannten Schöpfungsbotschafterinnen in Exter zeigt, warum das so ist.

Einen Steinwurf entfernt rauschen täglich fast neunzigtausend Fahrzeuge vorbei, jedes fünfte ein LKW. Doch davon merkt man nichts auf dem Gelände hinter der Autobahnkirche. Als einer der Pionierfriedhöfe im Biodiversitätsprojekt der Landeskirche kümmern sich hier die Friedhofsgärtner und das Dreiergespann Uta Peitzmeier, Ann-Katrin Ortmann und Christiane Wattenberg darum, den Friedhof in ein biodiverses Vorbild zu verwandeln.

Deutsche Friedhöfe sind oft parkähnliche Oasen in Städten und Dörfern. Doch sind viele nicht so naturnah wie sie sein könnten: Lebensbäume, Koniferen und Rhododendren vermitteln andächtige Ruhe, bieten aber wenig für Lebewesen auf zwei, vier, sechs oder acht Beinen. Mit dem Wandel in der Bestattungskultur weg vom klassischen Reihengrab entwickeln sich auch die Friedhöfe weiter. Im BiCK-Projekt, dem Biodiversitätscheck auf kirchlichen Friedhöfen, investiert die westfälische Landeskirche viel Wissen und Energie, um diesen Wandel zu unterstützen. Mit dabei: der Friedhof in Exter. 

Beim Tag des Friedhofs am 21. September konnten die Besucher das Projekt aus der Nähe erleben, sich von Projektleiterin Carina Völker die Veränderungen erklären lassen oder selbst Insektenhotels bauen. Doch auch an einem normalen Wochentag ist hier viel zu entdecken. Die auffälligsten Veränderungen sind die beiden Wildblumenparzellen. Auf zwei großen Flächen zwischen den Grabreihen wachsen hier hohe Gräser, Phacelia, Inkarnatklee, Malven und vieles mehr, überragt von den unvermeidlichen Sonnenblumen. Ein überreiches, buntes Buffet für Insekten. Vielleicht etwas zu bunt? „Eine wirklich natürliche Wildblumenwiese wäre viel unscheinbarer“, gibt Christiane Wattenberg zu. Aber das würde entweder ein weiteres Abmagern des Bodens oder eine andere Saatmischung bedeuten. Solche genau auf die Region abgestimmten Saatmischungen werden von spezialisierten Herstellern angeboten und sind entsprechend kostspielig.   

Versuchsweise kann man nebenan sehen, wie sich die Fläche verhält, wenn sie sich selbst überlassen und nicht gemäht wird. Auch auf dem Rest des Friedhofs wird der Mährhythmus behutsam angepasst. „Englischen Rasen“, sagt Uta Peitzmeier, „wird es hier nicht mehr geben.“ Das verlangt viel Aufklärungsarbeit vom Team. Altgewohnte Sehgewohnheiten und Erwartungen sind zäh. Und gerade auf Bereichen mit Publikumsverkehr ist genau abzuwägen, wie etwas naturnäher, aber dennoch barrierearm und sicher zu begehen sein kann. „Wir hören natürlich auch kritische Stimmen. Schließlich zahlen die Nutzer des Friedhofs ja auch für die Pflege“, erkennt Uta Peitzmeier an. Doch der Wechsel zu einer naturnäheren Pflegeform ist keineswegs eine Sparmaßnahme. Viel Arbeit ist nötig, und sparsamer wird nur mit natürlichen Ressourcen wie Wasser umgegangen.

Weniger als 300mm Regen sind in der ersten Jahreshälfte in Vlotho-Exter gefallen, ein Drittel weniger als im langjährigen Mittel. Ein Blick in eine nahegelegene Baugrube zeigt: der Boden ist bis in tiefe Schichten trocken. Die neue Realität erfordert eine neue Art des Gärtnerns. Der angepasste Mährhythmus schont das Gras, und die Flächen in Exter sind noch grün, während anderswo kurzgeschorener Rasen schon lange braun und trocken aussieht. Am biodiversen Mustergrab, das prominent am Osteingang sofort ins Auge fällt, zeigen die Schöpfungsbotschafterinnen, wie modern und attraktiv ein biodiverses Grab gestaltet werden kann. Statt Begonien sieht man hier „Thymian, Lavendel. Dazu resistente Stauden. Das muss alles nicht so regelmäßig gegossen werden wie die herkömmliche Grabbepflanzung“, erklärt Uta Peitzmeier. 

Doch die anhaltende Trockenheit setzt nicht nur den Pflanzen, sondern auch Vögeln, Nagetieren und Insekten zu. Das Team der Schöpfungsbotschafterinnen hat aber auch sie im Blick und an mehreren Stellen auf dem Friedhof Tränken aufgestellt. Sogar ein Miniteich in einem Waschzuber wurde gestaltet. Anderswo bieten Totholz- und Bruchsteinhaufen einen Unterschlupf für Insekten und sogar Reptilien. An jeder Station erklären Infotafeln, meist gleich an Pfosten mit Insektenhotels angebracht, den Sinn hinter jeder Veränderung.

Christiane Wattenberg wurde vom Nabu als Naturbotschafterin ausgebildet und setzt sich bereits dafür ein, die Botschaft auch in Schulen und Kitas zu verbreiten. Im letzten Jahr hat sie schon fast Tausend Zwiebeln gemeinsam mit den Kindern gesetzt, und weitere sollen für die nächste Generation Frühlingsblüher folgen. Uta Peitzmeier und Ann-Katrin Ortmann schließen gerade die Ausbildung als Schöpfungsbotschafterinnen ab und freuen sich darauf, den Friedhof auf seinem Wandel zu begleiten. Er zeigt bereits erste Früchte. Ein lokaler Pilzfachmann hat auf dem Friedhof einen besonderen Fund gemacht, den Borstigen Wiesenritterling, erzählt Uta Peitzmeier stolz: „ein überregionaler Erstfund.“ Jetzt soll eine DNA-Analyse zeigen, ob die kleine Sensation wirklich stimmt.

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