Jeder Ton ein Fest! Über zwei Stunden lang haben die Musikerinnen und Musiker des Brass Ensembles aus Venezuela am Samstagabend das Publikum in der Auferstehungskirche begeistert. Alle Bänke und Stühle im Kirchenschiff und auf der Empore besetzt, ließen sich die zahlreichen Zuhörer mitreißen von dem Feuerwerk lateinamerikanischer Klänge, das die Musiker unter der Leitung von Thomas Clamor für sie entfachten. Für den Dirigenten war es zudem ein Heimspiel, kommt er doch gebürtig aus der Region und hat in Detmold studiert. „Thomas, Thomas“, rief das Publikum im Rhythmus des frenetischen Applauses am Ende des Konzerts dem Mann zu, der das Ensemble ins Leben gerufen und inzwischen auf die großen Bühnen der Welt geführt hat. Wie genau es dazu gekommen war und was es mit der Geschichte der hochprofessionellen Musiker auf sich hat, das sollten die Zuhörer im Verlauf des Abends noch von Thomas Clamor erfahren, der selbst durch das Programm führte.
Doch zunächst gab es ein musikalisches Statement, das von Anfang an klarstellte: In unseren Adern pulst der Rhythmus! Mit George Gershwins „We got rhythm“ strömten die Musiker in den Altarraum, mit fetzigen Klängen, übermütig drehten sie sich mit ihren Instrumenten im Kreis, schaukelten zum Takt der Musik, bis sie an ihren Plätzen angekommen waren. Freude, ansteckende Freude, sie war das große Thema des Konzerts: Diese Musiker, die allesamt aus ärmsten Verhältnissen in Venezuela stammten, hatten schon als Kinder gelernt, wo der Hoffnungsstern strahlt: in der Musik. Im sogenannten „Sistema“, einem landesweit kostenlosen Musikunterricht für Kinder, die ohne Perspektive aufwachsen, in diesem System wurden sie abgeholt. Hier gibt ihnen die Gemeinschaft Geborgenheit, die Musik entfacht ihre Leidenschaft und Begeisterung, hier üben sie Disziplin und bauen sich eine Zukunft auf – in der Regel als Musiker; viele von ihnen sind heute als Profis in der internationalen Konzertszene unterwegs. Thomas Clamor schilderte mit warmherzigen Worten, wie ihn dieses Aufbegehren gegen die Aussichtslosigkeit der Armut fasziniert habe, das 1975 von Jose Antonio Abreu ins Leben gerufen wurde. Die Zuschauer erfuhren, dass alle Kinder, die in der Grundausbildung ein Instrument erlernt haben, später als Profis wiederum andere Kinder anleiten – ein System von Geben und Nehmen, das offenbar mit seinen vielen hundert Jugendorchestern im ganzen Land auf äußerst fruchtbaren Boden gefallen ist.
In der Auferstehungskirche nahm das Venezuelan Brass Ensemble die Zuhörer mit auf eine musikalische Reise durch die Länder Südamerikas: Da gab es den Tango aus Argentinien, den Tico-Tico aus Brasilien, beim Malaguena aus Kuba klapperten die Kastagnetten und das Schellentamburin rasselte. Karibische Rhythmen wie Samba oder Bossa Nova feuerten die Stimmung an. Da gab es folkloristische Tänze, die auf landestypischen Instrumenten wie der Ukulele oder den Maracas, auch als „Rumbakugeln“ bekannt, begleitet wurden. Die musikalische Völkerverständigung führte auch mit einem Medley aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ in die Vereinigten Staaten und nach Puerto Rico.
Am 1. Oktober, dem Welttag der Musik, widmete Dirigent Thomas Clamor mit bewegenden Worten das Konzert dem Gründer der „El Sistema“-Bewegung, Jose Antonio Abreu, und den zehntausenden jungen Menschen, die seiner Initiative eine Zukunft verdanken. Der immer wieder aufbrandende Applaus des Publikums, sowohl nach Clamors Worten als auch nach den Musikstücken, zeigte, wie sehr die Zuhörer genossen haben, was ihnen da zuteilwurde: Gemeinschaft über die Kraft der Musik – und das nach einer langen Durststrecke, in der Kultur auf Sparflamme gehalten wurde.
Mit umwerfenden Soli beeindruckten Luiz Alfredo Sanchez am Flügelhorn, Tomas Medina an der Trompete und das Atalaya Percussion Ensemble mit einer schier atemberaubenden Geschwindigkeit am Marimbaphon beim Medley Venezolano von Felix Mendoza. „All diese Musiker sind Vorbilder für die Kinder: für ein freies, selbstbestimmtes Leben jenseits schwieriger Startbedingungen“, sagte Thomas Clamor. „Ihr seid Helden!“, rief er ihnen zu – und das Publikum stimmte ihm mit tosendem Applaus zu.
Zum Schluss bedankte sich Thomas Clamor bei den Sponsoren, die den Auftritt des Ensembles unterstützt hatten, sowie bei den Organisatoren der Altstadtgemeinde, allen voran bei Kreiskantor Jozsef Opicz, für die Möglichkeit dieser besonderen Begegnung.