Naschuwa, das sind vier deutsche Musiker, die sich voll der jiddischen und israelischen Musik verschrieben haben: Seit 35 Jahren begeistern die beiden Pfarrer Matthias Helms als Geiger und Sänger und Thomas Damm als Gittarrist und Trommler, zusammen mit ihren später dazugestoßenen Bandkollegen Thore Benz am Bass und Rainer Ortner am Akkordeon ihr Publikum mit ihrer musikalischen Vielfalt und einem gehörigen Schuss jüdischen Humors. Bei ihrem Konzert in der fast komplett ausverkauften Kirche St. Johannis in Vlotho konnte man erleben, was Naschuwa so besonders macht.
Jeder der Musiker bringt einen eigenen Touch in die Musik, ohne das gemeinsame Ganze zu verwirren. Thore Benz baut mit seinem Bass das Gerüst, auf denen seine Kollegen sich austoben dürfen. Und sie toben sich manchmal wortwörtlich aus: Thomas Damm bringt an der Darbouka arabisch-nordafrikanische Rhythmen ins Spiel, und Rainer Ortner, obwohl gesundheitlich angeschlagen, darf bei einem Bravura-Solo auf dem Akkordeon seine Fähigkeiten zeigen: die Finger fliegen nur so über die Tasten, und man fragt sich ob das Wort “Weltmeister” auf seinem Instrument wirklich nur der Markenname oder doch eine Beschreibung des Musikers ist. Spaß, Rhythmus und geballte Kompetenz: Es verwundert nicht, dass der Applaus schon zur Pause gewaltig ist.
Naschuwa lässt sich dabei nicht zu billiger folkloristischer Nostalgie hinreissen. Das jüdische Osteuropa, Schtetl und Schtot, die Welt von Joseph Roth und Rose Ausländer sind zwar immer als Urgrund dabei, aber man fühlt sich bei Naschuwas gekonnten und beschwingten Spiel eher auf dem Schlagerfestival San Remo als auf einer galizischen Bar Mitzvah. “Belz, majn Schtejtele Belz” ist das vordergründig nostalgischste Stück, aber auch hier schon gefiltert durch den Einfluss von Emigration und Kontakt mit anderen Musikkulturen. Der Zuhörer findet sich nicht in kleinen osteuropäischen Dörfern wieder, sondern in den Straßen und Musikhallen von Williamsburg oder der Lower East Side. Naschuwa ist es wichtig, nicht in die Folklore zu verfallen, sondern den Klezmer und die jiddisch-israelische Musiktradition als die lebendige Kultur darzustellen, die sie ist, betont Thomas Damm.
Und so geht Naschuwa von der gedachten mittel- und osteuropäischen Heimat auf eine Reise durch die jüdische Welt. Da entdeckt man den jüdischen Beitrag zum Jazz mit dem Standard “It had to be you”. Bei Thomas Damms Eigenkomposition für seine Tochter “Janinas Walss” klingt der französische Chanson mit, und immer wieder erkennt das Publikum, wie viele Spuren jüdische Musiker und Komponisten in den verschiedensten Musikstilen des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus gelassen haben. Das beschränkt sich nicht nur auf die westeuropäische und angloamerikanische Kultur, wie Naschuwa eindrücklich mit einem Ausflug in sephardische Rhythmen und in die manchmal über die Gegensätze vereinte israelisch-arabische Musik zeigen: mit einem nordafrikanischen Abstecher geht die Reise weiter an die Beiruter Corniche, und ein Stück der libanesischen Sängerin Fairuz klingt über die nationalen und kulturellen Grenzen hinweg einfach nach großartiger Musik.
Über ein Dutzend Stücke bieten Naschuwa ihrem Vlothoer Publikum, immer wieder aufgelockert durch Matthias Helms jiddische Witze und Geschichten, vorgetragen mit seiner unnachahmlichen Kombination von Pfälzer Dialekt und Warschauer Jiddisch. Schon bei vielen der meist sehr tanzbaren Lieder kommt das Publikum in Bewegung, und es überrascht nicht, dass Naschuwa schließlich erst nach langem Applaus und Zugabe bei Standing Ovations in den Vlothoer Abend gelassen werden.