Scheinbar endlose Klangwelten: „Musikalische Ewigkeiten“ faszinierten die Besucher in Vlothos Stadtkirchen

Erstellt am 24.08.2022

Von Sandra Siegemund

Mit außergewöhnlichen, faszinierenden Klängen konnten sich die Zuhörer der „Musikalischen Ewigkeiten“ am Freitag, dem 19. August, und Samstag, dem 20. August, beschäftigen. An sieben Stationen in und um Vlothos Stadtkirchen St. Stephan und St. Johannis luden ganz unterschiedliche Musikwelten zum Zuhören und Verweilen nach individuellem Belieben ein, und im Klanglabor konnten die Besucher selbst Töne und Klänge erzeugen und verändern.

Die Idee, Musik auszustellen, statt sie zu veranstalten, hatte Peter Ausländer in Halberstadt. Im dortigen Dom hörte er ein Orgelstück von John Cage, das auf die erstaunliche Dauer von 639 Jahren ausgelegt ist. Gemeinsam mit Kantorin Līga Auguste konzipierte er darauf die scheinbar endlosen „Musikalischen Ewigkeiten“ für Vlotho.

Auch dort erklang Cages „ORGAN²/ASLSP“, gespielt in St. Stephan von acht sich abwechselnden Organisten. Entsprechend der Dauer der Ausstellung war die Länge der einzelnen Akkorde errechnet worden. „Jeder neue Ton ist ein Ritual“, sagte Kirchenmusikdirektor Wolfgang Bahn, schaute auf die Uhr, zog die Register und platzierte die Tastengewichte. „Das Stück entschleunigt ungemein. Es strahlt Ruhe aus, die wir im Alltag nicht haben“, sagte Līga Auguste. Wetterklänge waren in der Sakristei zu hören, übertragen aus der Hörhütte, die seit 22 Jahren im Vlothoer Kurpark steht. Sie werden von Witterungsinstrumenten erzeugt, die durch Wind und Niederschlag in Schwingung versetzt werden.

Ein wunderschönes Wirrwarr

Im Gemeindehaus St. Stephan wechselten sich vier Pianisten über insgesamt 17 Stunden bei Erik Saties „Vexations“ ab. Laut Anweisung des Komponisten sollten die Melodie und ihre beiden Variationen sehr langsam gespielt und 840-fach wiederholt werden. Im Saal darüber erklang „endlos kontinuum“ von Mathias Spahlinger. „Ein radikal partizipatives Stück. Die Musiker dürfen fast alles selbst entscheiden. Vorgegeben ist nur ‘TMH’, für einen tiefen, mittleren oder hohen Ton, und das abwechselnde Spiel im jeweiligen Duo. So entsteht ein wunderschönes Wirrwarr von Klangeindrücken“, so Peter Ausländer. „Eine interessante und schöne Erfahrung“, sagte Thomas Steingruber, der auf seinem Akkordeon mitgespielt hat. „Das Stück sensibilisiert für gemeinsame Projekte, sich gegenseitig wahrzunehmen. Auch mit sehr geringen Erfahrungen auf einem Instrument kann man mitmachen und trotzdem einen ähnlichen Beitrag leisten wie ein erfahrender Musiker. Die stetige Wiederholung ist für alle gleich anstrengend“, so der Musikschullehrer im Ruhestand.

Lautes Ticken empfing die Zuhörer in St. Johannis. Mit einem Zeremoniell wie bei einem klassischen Konzert startete "Poème Symphonique", eine Komposition für 100 Metronome von György Ligeti. „Freunde, Kollegen und Chormitglieder helfen, die Metronome aufzuziehen und in Gang zu setzen. Man kann mit den Leuten hier arbeiten wie mit Profis. Sie übertreffen sich gegenseitig. Das ist total schön“, lobte Peter Ausländer die zahlreichen Mitwirkenden der „Musikalischen Ewigkeiten“. Im Gemeinderaum St. Johannis wurden Filmkunstdokumente von seinen vier “Klanggebeten” gezeigt, und gegenüber der Kirche lud das Klanglabor zum Mitmachen ein. Mit Klangschalen, Gläsern, Gong und Glockenspiel konnte man schwebende Klänge erzeugen. Uwe Ellermann führte die Donnerrohre vor und erläuterte das Theremin, „das einzige Instrument, das man spielen kann, ohne es zu berühren“.

„Die Ausstellung war bewusst extravagant. Man war frei, einfach zuzuhören und die Klänge auf sich wirken zu lassen, solange man wollte. Wer mehr wissen wollte, konnte im ausführlichen Programm lesen. Für mich war es spannend, sowohl musikalisch als auch organisatorisch involviert zu sein. Wir haben viele Erkenntnisse für zukünftige Projekte gewonnen“, zog Līga Auguste ihr Fazit. Einer der zahlreichen Besucher gab seiner Begeisterung für das Event Ausdruck: „So eine lohnenswerte musikalische Ausstellung würde man eher in einer Großstadt vermuten.“

Peter Ausländer, Musikdozent, Ko-Kurator der Ausstellung und Herr über 100 Metronome

Tiefer, mittler, hoher Ton: Aus einfachen Zutaten entstehen komplex Tongebilde

Radikal partizipativ: Bei den “Musikalischen Ewigkeiten” hieß es Mitmachen und Miterleben

Mehr Rechenblatt als Partitur: Töne für 639 Jahre wurden auf 17 Stunden heruntergerechnet