Im Kirchturm versteckt: Jörg Richter, Kunsthistoriker der Klosterkammer Hannover, sichtet die Kirche in Holzhausen

Erstellt am 18.07.2022

Die Kirche in Holzhausen ist einer der vielen architektonischen Schätze im Evangelischen Kirchenkreis Vlotho. Doch es mehren sich die Zeichen einer bedeutenderen Rolle in einer Geschichte, die von Minden bis Wunstorf reicht. Anlässlich des 1150-Jahr-Feier des Damenstifts in Wunstorf sichtet Jörg Richter die Kirche auf Spuren ihrer grenzübergreifenden Bedeutung.

Das zwölfte Jahrhundert war eine Zeit des Umbruchs im Weserraum: Die Machtverhältnisse verschoben sich. Neue Familien drangen an die Macht, alte wurden verdrängt. Auch an Holzhausen ging dieser Wandel nicht unbemerkt vorbei, wie zwei zeitgenössische Urkunden erzählen. Für die Familie des verstorbenen Grafen Erpo war es ein Schwanengesang: Für sein Seelenheil überließen seine Witwe Reinildis und Tochter Ricwara dem Mindener Bischof Widelo außergewöhnlich umfangreichen Grundbesitz um das Gut Holzhausen herum. Sie verließen ihr weltliches Leben und behielten sich nur das Nutzungsrecht an ihren früheren Gütern vor. Jahrzehnte später gab Ricwara auch dieses Recht ab. Sie war mittlerweile zur Äbtissin in Wunstorf aufgestiegen, und während oder kurz nach ihrer Amtszeit begann 1173 der große Umbau der Stiftskirche in Wunstorf.

Grund genug für Jörg Richter von der Klosterkammer Hannover, die Kirche in Holzhausen auf mögliche architektonische Befunde zu sichten, die eine Verbindung mit Wunstorf andeuten. Angesichts der architektonisch aufwändigen Wandgestaltung der romanischen Bauteile und der anspruchsvollen, wenn auch späteren Ausmalung der Chorapsis gleicht seine erste Reaktion der vieler Besucher in Holzhausen: “Was für eine Pracht, wo man eine Dorfkirche erwartet.”

Kirche mit Turm, oder Turm mit Kirche?

Der wahre Clou wartet aber über den Köpfen der Gemeinde: der trutzige Kirchturm enthält ein für die Zeit reich ausgestattetes Wohngeschoss. Obwohl sie für spätere Einbauten abgetragen wurden, erkennt der Fachmann noch die Spuren der fein gestalteten Kämpfer unter dem Gewölbe. Auch die sauber gearbeiteten Quadersteine erzählen von Reichtum und Anspruch. Und ein ganz besonderes Detail erkennt sogar der ungeschulte Besucher aus dem Kirchraum: Ein Kamin beheizt den kleinen, aber feinen Raum.

Wie kommt eine Kirche zum Kamin? Jörg Richter überlegt, dass vielleicht nicht der Turm zur Kirche, sondern die Kirche zum Turm gehöre: Wurde die romanische Saalkirche nachträglich an den Wohnturm des nunmehr bischöflichen Guts Holzhausen angehängt? Oder wurde eine bestehende Kirche zur Residenz ausgebaut? Ähnliche Wohntürme sind aus gleicher Zeit in ganz Deutschland bekannt, so, Holzhausen nicht unähnlich, der Kirchturm in Altenburg in Sachsen-Anhalt. Zumeist findet sich eine solche Ausstattung jedoch in Pfalzkapellen oder anderen hochherrlichen Bauten wie der Neuenburg an der Unstrut: “Das ist wie ein Rolls-Royce”, sagt Jörg Richter, und beschreibt damit gleich den Anspruch Bischof Werners von Minden, der sich Holzhausen als Residenz ausgeschaut hatte.

Wissensaustausch zwischen Wunstorf und Holzhausen

Holzhausens Zeit als möglicher Nebenresidenz der Mindener Bischöfe war jedoch nur von kurzer Dauer, da der umfangreiche Besitz bereits 1180 an das von Bischof Werner gegründete Stift Obernkirchen verpfändet wurde. Der Ausbau zur Bischofskirche mit Wohnturm ließe sich daher zeitlich recht genau in das dritte Viertel des zwölften Jahrhunderts eingrenzen, kurz vor oder sogar gleichzeitig mit dem großen Ausbau der Stiftskirche in Wunstorf. Ob Steinmetze von der Stiftsbaustelle in diesem Zug auch in Holzhausen tätig wurden, ist eine der Fragen, denen Jörg Richter nachgeht.

Holzhausen ist nur ein, zumal grenzüberschreitender Nebenschauplatz für die denkmalpflegerische und kunsthistorische Arbeit der Klosterkammer Hannover. Das Millionenprojekt der Restaurierung der Wunstorfer Stiftskirche erlaubte den Fachleuten zum ersten Mal seit 1938 eine umfangreiche Bestandsaufnahme des bedeutenden romanischen Bauwerks. Die ersten Erkenntnisse aus den Vorarbeiten hat Jörg Richter bereits in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen 2020/4 veröffentlicht. Zum Abschluss der umfangreichen Forschungs- und Restaurierungsarbeiten in Wunstorf erscheint eine detaillierte Publikation "Das Damenstift St. Cosmas und Damian in Wunstorf” im Lukas Verlag.

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