Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung fehlen allein in Nordrhein-Westfalen 102,000 Kitaplätze. In 72% der Kita-Gruppen stehe nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung. Wie sieht es in den Einrichtungen des Verbandes evangelischer Kindertageseinrichtungen im Kirchenkreis Vlotho aus? Geschäftsführerin Tanja Moßwinkel stellt sich im Interview kritischen Fragen.
Hand aufs Herz: Stehen unsere Kitas vor dem Kollaps?
TM: Meine Antwort wäre ein “Jein”: Wir sehen die derzeitige Realität und müssen täglich darauf reagieren, auch wenn wir stabil aufgestellt sind. Im Verband bauen wir sogar aus. Kürzlich konnte ich unseren neuesten Kindergarten in Gohfeld im Rohbau erleben, und der wird toll. Wir haben auch erst vor wenigen Wochen offiziell alle Einrichtungen im Verband willkommen geheißen, und wir sind voller Energie, den Verband inhaltlich aufzubauen, zu entwickeln und die Kitas als Träger gut zu unterstützen.
Aber wir erleben natürlich auch die Belastung in unserer täglichen Arbeit. Die Mitarbeiter in den Kitas arbeiten immer nah am Limit, und das macht müde. Durch Krankheit und Fachkräftemangel macht sich diese Belastung spürbar. Ich bin wirklich stolz auf alle 400 Mitarbeiter in unseren 21 Einrichtungen. Sie betreuen täglich fast 1500 Kinder und stellen sich jeden Tag neuen Herausforderungen. Sie erfüllen ihren Bildungsauftrag, und das bei erschwerten Bedingungen.
400 Mitarbeiter in 21 Einrichtungen: Das klingt für unbescholtene Ohren ordentlich.
TM: Wir sind – wenn alle Stellen besetzt sind – gut aufgestellt, aber wir merken den Fachkräftemangel wie alle Kitas im Land. Aktuell suchen wir in fünf Einrichtungen Kräfte in Teil- und Vollzeit. Morgen sind es vielleicht schon sechs oder sieben, und die neue Kita in Gohfeld braucht im Sommer neue Kräfte. Wir wollen Plätze schaffen, aber wir müssen die Menschen dafür finden.
Für Bewerber*innen bietet unser Verband Perspektiven: Wir können jetzt mehr Mitarbeiter unbefristet einstellen. Wir bieten Ausbildungsplätze mit Zukunft an. Und wir sind regional gut vernetzt und in vier Kommunen vertreten (Porta Westfalica, Vlotho, Löhne und Bad Oeynhausen). Wir bieten Kreise zum Austausch an – und nicht nur für die Mitarbeiter des Verbandes, sondern auch für andere Träger. So schaffen wir Qualität.
Die Arbeit im Verband eröffnet uns neue Optionen. Wir haben z.B. eine Fachkraft als Springerin einstellen können und würden gerne weitere einstellen. Uns sind nachhaltige Beziehungen mit den Kindern wichtig, daher möchten wir keine zu häufigen Wechsel, aber Springer helfen vor Ort weiter!
Immer wieder ist die Qualifikation der Erzieher*innen ein Thema. Wie sieht es damit aus?
TM: Professionalisierung ist uns ein wichtiges Anliegen, und wir sind hier gut aufgestellt. Unsere Fachberatung hilft unseren Mitarbeitern bei ihrer Weiterentwicklung. Aber auch darüber hinaus können sie an Fortbildungen teilnehmen, um ihr Fachwissen zu erweitern.
Die pädagogischen Konzepte der Kitas sind vielfältig. Jede hat ein eigenes Schwerpunktthema. Das bietet unseren Mitarbeitern viele Auswahlmöglichkeiten. Der Schwerpunkt „tiergestützte Pädagogik“ wird z.B. an zwei Standorten umgesetzt. Das war vor zwei Jahren etwas ganz neues und spannendes und hat sich jetzt etabliert.
Wir wollen ausbilden, weiterbilden und die Qualität der Kitas nach Außen transportieren. Das geht aber nur mit ausreichend Personal.
Welche Einstiegsmöglichkeiten gibt es für junge Menschen, die Erzieher*in werden wollen?
TM: Es gibt viele Wege, Erzieher*in zu werden. Wir haben in der Region viele Berufsschulen (AWO Berufskolleg, Wittekindshof, Anna–Siemsen Berufskolleg und weitere) mit verschiedenen Ausbildungsformen. Wer weitere Informationen benötigt, kann mich und meinen Kollegen Michael Witt gerne kontaktieren. Wir sind auch mit den Schulen im Gespräch. Wir nehmen uns die Zeit, junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Im November kommen wir an die Goethe Realschule in Gohfeld. Wir hoffen, dass unsere Leidenschaft bei den Schülern ankommt und sie bewegt, eine Ausbildung zu machen. Egal bei welchem Träger! Uns ist wichtig, dass der Beruf präsentiert wird.
Die praxisintegrierte Ausbildung (kurz PiA) ist auch weit verbreitet. Auch wir bieten sie an. Doch die Finanzierung stellt uns als Träger oft vor Herausforderungen. Das wird in der Öffentlichkeit oft nicht verstanden. Da heißt es: Ihr habt doch Fachkräftemangel. Warum ist es so schwer, Auszubildende einzustellen? Ihr braucht uns doch! Und genau das ist es: Wir brauchen Fachpersonal, können die Ausbildung teilweise aber nicht finanzieren. Hier wäre eine vollumfängliche Finanzierung vom Land eine große Hilfe. Es geht um unsere Kinder, um unsere Zukunft, um den Bildungsauftrag!
Aber: auch im kommenden Kitajahr 2023/24 werden wir natürlich ausbilden.
Unsere Personalplanung für das neue Kitajahr fängt im Januar/Februar an. Da kann ich nur empfehlen: Meldet Euch jetzt bei mir, beim Verband oder bei den Einrichtungen! Wir warten tatsächlich auf Euch!
Es ist aber auch nie zu spät, seine Berufung in der Kita zu finden. Aktuell sind bei uns Alltagshelferinnen angestellt, die vor Ort eine sehr große Hilfe sind. Wir würden uns sehr freuen, wenn diese befristete Maßnahme vom Land verstetigt werden würde. Es ist uns schon gelungen, drei unserer Alltagshelferinnen über die neue praxisintegrierte Kinderpfleger*innen-Ausbildung am AWO Berufskolleg einen dauerhaften Einstieg zu ermöglichen. Wir freuen uns, dass sie sich mit uns auf den Weg machen, und können ihnen nach der Ausbildung Stellen in den Kitas anbieten.
Bleibt bei dem ganzen Alltagsstress in den Kitas auch Zeit für gute Leitungsarbeit?
TM: Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir 21 exzellente Leitungen in unseren KiTas haben, auch wenn eine Stelle davon kommissarisch besetzt und auf der Kirchenkreisseite ausgeschrieben ist. Dass es Einrichtungen gibt, in denen überhaupt keine Zeit für Leitungsaufgaben bleibt, ist für uns eigentlich kein Thema. Dennoch müssen Leitungen immer in den Gruppen aushelfen, wenn Personal fehlt. Da bleiben oft die eigentlichen Leitungsaufgaben liegen.
Ein regelmäßiger Austausch mit und unter den Leitungen ist uns wichtig. Dafür sind die Zoom-Sitzungen und Leitungskonferenzen effektiv. Im Januar ist eine zweitägige Fortbildung in der Wiehentherme geplant. Da freuen wir uns schon drauf und hoffen, dass sie auch stattfinden kann.
Der Verband der Kindertageseinrichtungen im evangelischen Kirchenkreis Vlotho sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt für ihre ihren zweigruppigen Kindergarten Bonneberg
unbefristet für 39 Std./Woche.