Seit über 1500 Jahren singen Menschen überall auf der Welt ein Gebet: „Herr, kehre ein in dieses Haus“. So auch beim Dialogkonzert mit Pater Anselm Grün und Clemens Bittlinger in Bad Oeynhausen: Noch bevor der bekannte Liedermacher das Publikum auffordern konnte, stimmten die über 400 Anwesenden in der vollbesetzten Auferstehungskirche spontan in den Gesang mit ein.
Clemens Bittlinger ist kein Unbekannter in Bad Oeynhausen. Der Liedermacher und evangelische Pfarrer war am Buß- und Bettag wieder in die Kurstadt gekommen, in der er eine aktive Fangemeinde hat. Sie und die anderen Besucher hatten ein wenig Geduld mitbringen müssen, denn Bittlingers letzter Auftritt liegt mittlerweile zwei Jahre zurück. Mit einem multimedialen Sternenreise-Konzert hatte er 2022 das Bad Oeynhausener Publikum begeistert, mit der prominenten Unterstützung des aus Radio und Fernsehen bekannten Astrophysikers Professor Dr. Andreas Burkert.
Dieses Mal brachte Clemens Bittlinger wieder einen prominenten Partner mit einem wohl noch größeren öffentlichen Profil nach Ostwestfalen: Pater Anselm Grün. Der Benediktinerpater, Erfolgsautor und Redner hat mit seinem evangelischen Kollegen ein Programm rund um ein uraltes klösterliches Gebet entwickelt. Im Wechsel zwischen Erzählungen, Liedern und Gebeten brachten die beiden ungleichen Bühnenpartner, hier ganz der Liedermacher mit Stoppelbart, Weste und Gitarre, dort der in sich ruhende Mönch im dunkelgrauen Habit, dieses Programm in die Auferstehungskirche.
„Herr, kehre ein in dieses Haus“: Der Schluss der Komplet, des Nachtgebets im klösterlichen Tagesablauf, erklingt seit dem 6. Jahrhundert jeden Abend in Klöstern und Kirchen auf der ganzen Welt. Beim Dialogkonzert mit Anselm Grün bildete es die Rahmenhandlung, in die Clemens Bittlinger andere seiner Lieder mit Tiefgang wie „Leih mir Deine Flügel“ einarbeiten konnte, mit gewohnter Professionalität begleitet von seinen musikalischen Weggefährten David Plüss und David Kandert.
In seinen Texten erzählte Pater Anselm Grün von Erlebnissen und Erkenntnissen aus seiner Arbeit, aber auch von größeren Fragen wie Glaube, Zweifel oder auch Frieden. „Frieden entsteht im Gespräch“, erklärte der Benediktiner, der vor 60 Jahren Novize in der Abtei Münsterschwarzach wurde, „und im Versuch, den anderen Menschen zu verstehen.“ Rechthaberei spalte, Spalter seien selbst gespalten und Unzufriedene seien mit sich selbst nicht im Frieden. Daher müsse man mit sich selbst „zu-frieden“ sein, bevor man Frieden stiften könne. Ganz praktisch, berichtete der Mönch und Führungskräftetrainer, könnten Angestellte ihren Kollegen oder Lehrer ihren Schülern einen Segen zusprechen, anstatt sich über sie zu ärgern, denn „Segnen führt uns aus der Opferrolle hinaus.“
Pater Anselm Grün hat um das „Herr, kehre ein in dieses Haus“ ein ökumenisches Ritual entwickelt, das man unabhängig von der Konfession mitmachen kann. In der Auferstehungskirche durfte es direkt ausprobiert werden: Bevor Clemens Bittlinger das Publikum ein letztes Mal im Gesang anleitete, bat Pater Anselm Grün die Anwesenden, sich zu erheben und ihm durch das Ritual zu folgen. Die Arme vor der Brust gekreuzt - „umarmen Sie sich selbst“, wie Anselm Grün es erklärte - folgten alle Anwesenden ihm auf eine Reise in den inneren „heiligen Ort“, in dem sie „ursprünglich und unverfälscht ganz bei sich selbst zuhause sein“ können.