345 Jahre Liebe, Tod und Trauer: Das passt in acht Umzugskartons. Ein kleines Team von Familienforschern und Historikern hat die Kirchenbücher der evangelischen Gemeinden in der Region Vlotho in monatelanger Arbeit zusammengebracht und digitalisiert. Genealoge Reinhard Heinsmann und der ehemalige Jugendreferent Hans-Ulrich Strothmann haben die historischen Bestände nun dem Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld übergeben.
Seit 1667 wurden in Exter, seit 1679 in St. Stephan die Taufen, Trauungen und Beerdigungen festgehalten. Andere Vlothoer Kirchengemeinden sind jünger, oder ihre Aufzeichnungen haben die Jahrhunderte nicht überdauert. Nur Holtrup ist älter: In der ehemals zur Region Vlotho gehörenden Gemeinde wurde bereits eine Generation früher, noch in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Kriegs mit den Aufzeichnungen begonnen.
Mit dem Übergang in die neue gemeinsame Kirchengemeinde Vlotho kam die Idee auf, die alten Kirchenbücher zu digitalisieren, erklärt Hans-Ulrich Strothmann. Zusammen mit einem Team aus Genealogen der AG Familienforschung im Kreis Herford hat er sich an die Arbeit gemacht und die teilweise jahrhundertealten Bände durchgearbeitet: Mühevolle Arbeit, die viel Geduld, Fingergeschick,den richtigen Umgang mit dem speziellen Buchscanner und eine genaue Beachtung der Datenschutz- und Archivvorschriften verlangt. Doch sie lohnt sich, wie der Historiker Sebastian Schröder im letzten Jahr anhand der Aufzeichnungen des Valdorfer Pfarrers Mölling zeigen konnte. Hier finden sich nicht nur Notizen über Taufpaten, Eltern oder Ehepartner, sondern viele Einträge zum Tagesgeschehen vor Ort und in der weiten Welt, die der offensichtlich gut vernetzte Vlothoer Pfarrer für die Nachwelt aufbewahrt hat. Da liest man von Unwettern in der Region, von der Vertreibung der evangelischen Salzburger 1732 und sogar von Gerüchten über Vampire aus dem Balkan.
Die meisten Kirchenbücher sind jedoch einfach lange Listen, in denen die wichtigsten Lebensereignisse vieler Vlothoer Generationen festgehalten sind. Alles wurde professionell gescannt und auf zwei Festplatten gespeichert. Die Datenmenge ist riesig, da die Scans ein besonderes Format haben, das auch in Zukunft noch von neuen Computersystemen lesbar sein soll. „Eine Festplatte geht zusammen mit den Büchern nach Bielefeld. Die andere bleibt hier, damit das Gemeindebüro weiter die Daten vor Ort hat“, erklärt Hans-Ulrich Strothmann. Auch die nach Bielefeld verbrachten Bücher wurden nur als sogenannte Deposita an das Archiv übergeben und bleiben weiter im Besitz der neuen Gemeinde.
Bisher konnten Familienforscher und andere Nutzer nur auf Microfiche-Kopien zurückgreifen, wenn sie nicht den Weg nach Vlotho auf sich nehmen wollten. „Da ist die Qualität natürlich nicht so gut“, erklärt Johanna Niederbiermann vom Landeskirchlichen Archiv. Die neuen Scans seien viel leichter zu lesen.
Sobald die Scans, wie andere Kirchenbücher aus ganz Deutschland, über das Archion-Portal der weiteren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können, können sich Profi- und Hobbyforscher auf eine Schatztruhe historischer Informationen freuen. Mit einer Einschränkung: Es gelten die archivüblichen Schutzfristen, damit die Persönlichkeitsrechte von noch lebenden Gemeindegliedern oder ihrer direkten Nachkommen gewahrt bleiben. „90 Jahre bei Taufen, 30 Jahre bei Beerdigungen“, präzisiert Johanna Niederbiermann. Aus diesem Grund, und damit weiterhin noch Änderungen in den noch laufenden Akten vorgenommen werden können, hat das Archiv auch nur die historischen Bände in das eigens dafür eingerichtete Kirchenbuch-Depot übernommen. „Wir schauen jetzt, ob bei irgendwelchen der Bände noch restauratorische Arbeit nötig ist“, erklärt die Archivarin. Wann genau die Scans über Archion eingesehen werden können, kann sie nicht sagen. Wahrscheinlich sei aber bereits im Frühjahr alles verfügbar.
In Vlotho laufen derweil die Vorbereitungen auf die Arbeit im kommenden gemeinsamen Gemeindebüro. Ganz papierlos wird es noch nicht sein, doch zumindest die historischen Kirchenbücher haben jetzt ein neues, geschütztes und klimakontrolliertes Zuhause in Bielefeld gefunden.