16 Jahre Begegnung "unter Gottes Dach": Pfarrer Hartmut Birkelbach im Interview über seine Zeit im "KuK!"-Referat

Erstellt am 24.09.2021

Um die 35 Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Workshops, Theater und Tanztheater, Kinoabende und Studienfahrten  jedes Jahr: Ziemlich genau 500 ganz unterschiedliche Veranstaltungen hat Pfarrer Hartmut Birkelbach in den vergangenen 16 Jahren im Evangelischen Kirchenkreis Vlotho organisiert. 120 davon alleine für die erfolgreiche Reihe "Kirchen+Kino" in der UCI Kinowelt Bad Oeynhausen. Nach 16 Jahren konzeptioneller, theologischer und organisatorischer Arbeit in der Kreiskirchlichen Arbeitsstelle "Kirche und Kultur" geht der Pfarrer Ende September in den Ruhestand; Pfarrerin Susanne Böhringer übernimmt das Kulturreferat "KuK!". Im Interview blickt Hartmut Birkelbach auf seine Dienstzeit zurück.

Wie sind Sie zur Kultur gekommen?

Ich war 16 Jahre lang mit Leib und Seele Gemeindepfarrer und halte Gemeindearbeit nach wie vor für ganz, ganz wichtig. Ich habe in Minden aber auch schon immer ein bisschen Kulturarbeit gemacht, für die es unterschiedlichste Anstöße gab: so habe ich zum Beispiel beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 1991 im Ruhrgebiet zum ersten Mal in der Westfalenhalle in Dortmund Hanns Dieter Hüsch als Prediger gehört, nicht als Kabarettisten. Da hat er in einer Weise gepredigt, dass ich als Pfarrer gedacht habe: Das ist eine andere Dimension. Der hat eine andere Sprache, die viel näher an den Menschen ist, als meine. Und wie es ihm gelingt Inhalte unseres Glaubens neu zu sagen ohne flach zu werden, das hat mich begeistert. Und dann habe ich ihn in die "Kabaretthochburg Minden" eingeladen zu einem Kabarerttabend Samstagsabends und zur Predigt im Gottesdienst am Sonntagmorgen. Und das haben wir insgesamt fünf Mal gemacht, bis er dann beim letzten Mal sterbenskrank mit einem Sauerstoffzelt in der Sakristei den Gottesdienst mit uns gefeiert hat. Das waren solche Erfahrungen, die uns fragen ließen: Wo gibt es Dinge, die uns als Gemeinde den Horizont weiten können? So habe ich damals mit Kulturarbeit begonnen - in einer Dorfkirche am Stadtrand von Minden. Und dann hat mich der damalige Superintendent Andreas Huneke gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, Kulturarbeit hier im Evangelischen Kirchenkreis Vlotho schwerpunktmäßig zu machen und ein Referat für Kirche und Kultur aufzubauen. Und das habe ich jetzt 16 Jahre gemacht.

Was war Ihr Highlight in 16 Jahren "KuK!"?

Da gab es unglaublich viele Highlights in der Begegnung mit so vielen hochkarätige Künstler:innen und großartigen Besucher:innen! Aber dabei geht es gar nicht zuerst um große Namen und besondere Formate, sondern besondere Highlights waren manchmal auch ganz kleine Veranstaltungen, wie der Poetryslam-Workshop mit Marco Michalzik und Jugendlichen, wo nur 40 Leute da waren, um sich die Ergebnisse anzuhören. Oder die Theateraufführungen, wie beispielsweise die "Verteidigungsrede des Judas Ischariot" mit dem Schauspieler Guido Meyer, die viele Menschen zum neu Nachdenken und zum Glauben gebracht hat. Oder wenn zum Beispiel eine alte Dame in Eidinghausen nach einem Konzert zu mir gesagt hat: "So stelle ich's mir im Himmel vor." Das waren die eigentlichen Highlights, wenn sich bei Menschen etwas getan hat. Wenn die Veranstaltung sie erreicht und berührt hat. Und davon gab es Gott sei Dank sehr viele.

Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrer Arbeit?

Ich bin Christ und ich bin Pfarrer. Und das ist mir das Wichtigste in der Gemeinde und im Kulturreferat: Das Evangelium ins Gespräch bringen. Die Kommunikation des Evangeliums ist die zentrale Aufgabe der Kirche und die Kulturarbeit ist eine Form davon. Ich möchte Klischees gegenüber der Kirche aufbrechen, ich möchte neue Menschen erreichen und die unterschiedlichen Welten miteinander ins Gespräch bringen.Kirche hat Jahrhunderte das kulturelle Leben bestimmt. Das ist nicht mehr so. Kirche droht auch mit ihrer kulturellen Tradition zu einer Subkultur zu werden, die viele Leute nicht mehr anspricht. Und da wieder zu sagen: "Doch, das ist deine Welt!" Das ist der tragende Hintergrund meiner ganzen Arbeit. Das zeigt sich nicht in jeder Veranstaltung. Es gibt Veranstaltungen, da wird das Thema Glaube nicht direkt angesprochen. Oder in der Reihe "Kirchen+Kino" zeigen wir keine frommen Filme oder "Kirchenfilme". Es geht um Lebensfragen und das sind auch immer Glaubensfragen. Und diese Verschränkung von Leben und Glauben zu befördern, das finde ich wichtig. Wenn jemand nach einer Veranstaltung sagt "Das hat mich neu zum Nachdenken über das Leben und den Glauben gebracht", dann habe ich alles erreicht.

Wenn Sie kulturell auf den Evangelischen Kirchenkreis Vlotho blicken: Was hat sich in 16 Jahren verändert?

Es gab ja schon immer Kulturarbeit in den Gemeinden. Und die gibt es auch immer unabhängig von dem kleinen Kulturreferat "KuK!". Mit "KuK!" habe ich versucht, eine übergemeindliche Ebene zu sein und den Gemeinden zu helfen; Anregungen zu geben und Projekte umzusetzen. Und da ist es vielleicht in den 16 Jahren gelungen noch eine größere Vielfalt für Menschen verständlich zu machen. Es war bis dahin alles sehr kirchenmusikalisch ausgerichtet - und das ist toll. Aber dass Kabarett oder Jazz in der Kirche stattfinden, war eher die Ausnahme. Und da ist eine kulturelle Vielfalt im Kirchenkreis entstanden. Und dass heute niemand mehr sagt: "Kino, was hat das denn mit Kirche zu tun?" Oder: "Wie kann man einen wie Konstantin Wecker, der mal Drogen genommen hat, in der Kirche auftreten lassen?" Da ist eine Offenheit und Akzeptanz entstanden, die mich sehr freut. Und dass so viele Menschen gesagt haben, auch bei der Kreissynode und weit darüber hinaus, dass die Kulturarbeit als ein Teil unserer kirchlichen Arbeit erhalten bleiben soll, das hat mich sehr gefreut. Das war vor 16 Jahren nicht unbedingt so. Die Akzeptanz ist für die Sache gewachsen; nicht für meine Person. Und dass jetzt der glückliche Fall eingetreten ist, dass Pfarrerin Susanne Böhringer die Arbeit weiterführen wird, das freut mich ungemein.

Wie blicken Sie auf die Zukunft von Kirche und Kultur?

Ich hoffe, dass die Kirche insgesamt stärker ihre Rolle wahrnimmt, die sie zweifellos hat. Es ist empirisch untersucht und vom deutschen Kulturrat mehrfach zum Ausdruck gebracht worden: Die Kirche ist nach wie vor neben dem Staat der größte Kulturträger in Deutschland. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns selbst dieser Bedeutung gar nicht so bewusst sind. Und auch nicht des Reichtums, den wir einzubringen haben. Da passiert ganz viel in den Gemeinden, in der Kirchenmusik und der Kulturarbeit. Das müssten wir einerseits noch viel selbstbewusster als Kirche insgesamt tun und gleichzeitig auch ein bisschen demütiger.

Welche Rolle hat der Kontakt zu den Künstler:innen gespielt?

Ich glaube, dass es wichtig ist, den Agenturen und Künstler:innen wirklich deutlich und erkennbar zu machen , welche Anliegen man verfolgt, um ihnen schmackhaft zu machen, weshalb es für sie interessant und ein Gewinn sein könnte, bei uns aufzutreten. Und ich habe immer versucht, die Künstlerinnen und Künstler mit Respekt zu behandeln. In der Bibel steht: "Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert." Und das gilt auch für Künstler. Und ich finde es unwürdig als Kirche zu sagen: "Aber das ist doch für eine gute Sache, können Sie nicht mal umsonst oder zum Sonderpreis für uns arbeiten?" Dadurch bekommt man vielleicht so ein gewisses Standing auch gegenüber Agenturen und Künstlern, dass sie merken: Hier wird wertgeschätzt was wir machen. Und wir haben uns auch immer bemüht gute Gastgeber zu sein. Wenn wir schon keine professionellen Garderoben haben, dann haben wir wenigstens zum Beispiel den Konfirmandenraum so schön mit Kerzen und Blumen hergerichtet, dass Künstlerinnen und Künstler des Öfteren schon gesagt haben: "Hier ist es schöner, als in einer Stadthalle."

Wie aufgeregt sind Sie vor einer "KuK!"-Veranstaltung?

Ich bin jedes Mal mindestens genau so aufgeregt wie die Künstlerinnen und Künstler. Das gehört auch dazu, wenn man die Verantwortung für das Gelingen einer Veranstaltung hat. Am meisten merkt das meine Frau. Es ist ganz oft aber trotz aller Aufregung eine ganz beglückende Erfahrung, wenn Leute kommen und sich haben einladen lassen und sich auf den Abend freuen. Und das sagen ganz oft auch die Künstlerinnen und Künstler: Da sitzt nicht das normale "Abo-Publikum", sondern es sind Menschen, die erwartungsvoll auf einen tollen Abend warten. Und das finde ich wundervoll. Oder dass Leute nach langer Zeit wieder in eine Kirche kommen und sagen: "Och das ist gar nicht so schlimm hier und es tut auch gar nicht weh." Hanns Dieter Hüsch hat damals nach seinem ersten Auftritt in unserer Kirche ins Gästebuch geschrieben: "Was ist das schön, dass wir alle uns treffen können unter Gottes Dach." Und das habe ich oft so empfunden. Das ist der Raum und der Rahmen. Und da haben alle Platz.

Am 24. September die letzte "KuK!"-Veranstaltung in Ihrer Verantwortung an: Wie blicken Sie auf diesen Abend?

Mit großer Freude. Ich werde wieder aufgeregt sein, das ist natürlich so. Und ich werde hoffen, dass alles gut geht. Unter Corona-Bedingungen ist ja alles etwas speziell. Aber ich freue mich unglaublich, dass das Duo "2Flügel" gesagt hat: Wir möchten dir gerne diesen Abend am Ende deiner Dienstzeit schenken. Und das soll die Vorpremiere zu unserem neuen Programm "Goldzwanziger" sein, das erst im kommenden Frühjahr starten soll. Und hier in der Auferstehungskirche am Kurpark in Bad Oeynhausen findet die bundesweite Vorpremiere statt. Das freut und ehrt mich natürlich sehr, zumal ich die Beiden für die interessanteste musikalisch-literarische Formation halte, die es in Deutschland gibt. Wir haben ja schon verschiedene Veranstaltungen zusammen gemacht und das war jeweils ganz besonders. Und das erhoffe ich mir auch vom 24. September.

Am Tag danach findet ihre offizielle Verabschiedung in einem Festgottesdienst statt. Was machen Sie danach im (Un-)Ruhestand? Können Sie nach 16 Jahren Kulturarbeit und vielen Jahrzehnten Pfarrersein einfach abschalten?

Nein, von jetzt auf gleich nicht. Und deshalb nehme ich mir ein Sabbatjahr als Auszeit, in dem ich versuche zur Ruhe zu kommen; Abstand zu bekommen und zu überlegen: Was von den vielen Ideen, die ich selbst habe und von den Einladungen und Anfragen, die an mich herangetragen werden, was kann und will ich künftig machen? Bei der Verabschiedung ist mir die Entpflichtung durch die Superintendentin besonders wichtig. Dieser Gedanke: "Sie sind jetzt nicht mehr verantwortlich für diesen Arbeitsbereich." Das ist natürlich einerseits schade, weil ich die Arbeit von Herzen gerne gemacht habe. Aber ich merke auch, dass ich älter werde und dass es mich manchmal an die Grenzen meiner Kraft führt. Und deshalb wird diese Entpflichtung auch eine ganz große Entlastung sein. Und diese Entlastung will ich genießen und mich nicht sofort verzetteln. Ich will wirklich für meine Familie und mich selbst da sein. Und zum Beispiel endlich mal in aller Ruhe lesen, was ich so liebe und wofür ich bisher immer zu wenig Zeit hatte. Und in Kürze werde ich für einige Wochen am Meer sein, da gelingt es mir immer besonders gut abzuschalten.

Aber sie werden uns, dem Kirchenkreis, und der Stadt Bad Oeynhausen erhalten bleiben?

Ja, ich bleibe weiter gerne hier und werde jetzt auc überlegen und entscheiden, wo ich mich weiter engagieren möchte - in kirchlichen, sozialen und gesellschaftlichen Belangen. Ich bin zum Beispiel von Anfang an im "Bündnis für Menschenwürde, Vielfalt und Toleranz" in Bad Oeynhausen aktiv und werde das sicher auch weiter sein. Aber alle regelmäßigen Aufgaben und Ämter lasse ich erstmal ruhen und nehme eine kleine Auszeit.

Wem möchten Sie zum Ende noch danken?

Ich finde es so toll, dass in diesem Kirchenkreis gilt und mit Leben und Inhalt gefüllt wird, was unser Leitwort besagt: "Lebendige Vielfalt auf gutem Grund". Und dass daran weiter Menschen arbeiten, dass sie weiter wächst und gedeiht auf dem guten Grund, dem Evangelium - das war mir ganz wichtig und ein großes Geschenk! Und natürlich hätte ich meine Arbeit gar nicht ohne die Unterstützung von Anderen tun können. Mir haben die unterschiedlichsten Leute geholfen: Im Kreiskirchenamt beispielsweise vom Empfang über die Kassenabteilung bis zur Öffentlichkeitsarbeit. Es haben bei der Durchführung von Veranstaltungen ganz viele Ehrenamtliche in den Gemeinden mitgeholfen. Ganz besonders das tolle Technikteam von TEN SING Vlotho, das unglaubliches ehrenamtliches Engagement einbringt, um auf einem hohen Niveau die technische Begleitung von Veranstaltungen zu machen. Und vor allem war es eine ganz, ganz große Hilfe für mich, dass meine Frau mich ständig unterstützt und begleitet hat. Und nicht nur ganz praktisch geholfen hat, sondern sich Tag für Tag mein Gerede angehört hat. Das muss man als Frau auch erstmal aushalten, wenn die Arbeit so stark das Leben bestimmt - und das hat sie mit Engelsgeduld getan. Nicht nur die Wochen waren voll, sondern auch die Wochenenden. Das Familienleben zu Zweit und mit unseren wunderbaren Kindern und Enkelkindern hat sich oft danach ausrichten müssen. Und das soll jetzt mal umgekehrt sein können.