Neue Online-Serie: Mit Musik durch die Corona-Krise

Erstellt am 21.04.2020

Gläubige aus den Kirchengemeinden und ganz Deutschland berichten

Jörg Steinmann: Musikalischer Ostergruß in Vlotho

Am Ostersonntag hatte das Posaunenwerk alle Bläser aufgerufen, sich an der Aktion „Ostern vom Balkon“ zu beteiligen. Um 10.15 Uhr, nach dem Ende des Fernsehgottesdienstes, sollten die Musizierenden auf ihrem Balkon, im Garten, am Fenster oder wo sie gerade waren, den Choral „Christ ist erstanden“ spielen.

Auch Jörg Steinmann und Markus Walter, Bläser im Posaunenchor Bad Oeynhausen-Altstadt, nahmen ihre Instrumente. Auf dem weitläufigen Burghof in Vlotho ließen sie Tuba und Euphonium erklingen. „Wir haben Osterchoräle und zum Abschluss 'Großer Gott, wir loben dich' musiziert. Drei Personen haben uns zugehört. Sie haben sich sehr gefreut“, sagte Jörg Steinmann.

„Anschließend haben wir den Bewohnern im Seniorenheim „Fährhof ein Ständchen gebracht. Sie standen auf den Balkonen oder am Fenster und hatten vor Freude Tränen in den Augen“, erinnerte sich der Bläser.

Auch auf der Plattform Facebook, wo Tubist Jörg Steinmann ein Video der österlichen Aktion gezeigt hat, gab es viel positive Resonanz für die beiden Instrumentalisten. „Einige schrieben, dass sie die Musik in der Stadt gehört haben“, sagte er.

Markus Walter (li.) und Jörg Steinmann musizieren Osterchoräle und bringen so vielen Menschen Freude.

Kreiskantor József Opicz: "Wir müssen weiter musizieren!"

Musik öffnet andere Dimensionen der Seele. Sie bringt zum Ausdruck, was Worte nicht können“, sagt József Opicz. In der kleinen Serie berichten Menschen aus dem Kirchenkreis Vlotho und darüber hinaus, wie Musik sie in ihrem Leben begleitet und ihnen auch in der momentanen Krise hilft. Den Anfang macht József Opicz, Kreiskantor im Kirchenkreis Vlotho. „Singen ist ein menschliches Urelement. Kinder singen einfach drauflos“, sagte József Opicz. „Die Menschen suchen neue Wege, um miteinander in Kontakt zu kommen. Soziale Medien reichen nicht aus. So entstanden mehrere Aktionen mit Sängern und Bläsern, die alleine und durch den festgelegten Zeitpunkt doch gemeinsam musizieren. Ein gutes Zeichen für die Gesellschaft“, sagte er und appellierte an alle Musizierenden: „Es ist wichtig, jetzt nicht Pause zu machen, sondern weiter zu musizieren.“

Kreiskantor József Opicz an der Orgel in der Auferstehungskirche Bad Oeynhausen (Archivfoto)

„Singen ist für mich Entspannung“

„Gemeinsames Singen als heilend, tröstend und Frieden stiftend erlebt“ hat eine langjährige Sängerin in der Kantorei an der Auferstehungskirche, die anonym bleiben möchte. Sie erinnerte sich, wie sie ihre eigenen Eltern in der Nachkriegszeit singend erlebt hat. „Ich staunte, wie zuversichtlich und gelassen sie durch das Singen wurden und fragte mich, wie haben sie das geschafft. Wir waren ausgebombt und hatten nichts mehr. Trotzdem stellte sich mein Vater hin und sang mit seiner sicheren Bassstimme“, erzählte sie. „Auch wenn bei Festen die Stimmung zu kippen drohte, wurde mein Vater aufgefordert. Sing doch etwas! Und schon veränderte sich die Stimmung tatsächlich positiv, statt die Probleme nur zuzudecken. Man konnte spüren, wie heilsam das war“, so die Choristin. Auch bei Beerdigungen helfe ihr, gemeinsam etwas Bekanntes anzustimmen, hat sie erfahren. „Das hat etwas Tröstliches, das ein wenig heilt“, sagte sie.

„Singen ist für mich Entspannung“, sagte die Sopranistin. Für die gemeinsamen Proben nimmt sie sich gern Zeit. „Sonst fehlt mir etwas. Oft bin ich abends nach der Arbeit geschafft in der Chorprobe angekommen und anschließend erfrischt wieder gegangen, eine wahre Wohltat“, sagte sie und ergänzte nachdenklich: „Gut, dass wir keine Kantorei sind, die Alte aussortiert, wie es in manchen Chören üblich ist. Stimmen verändern sich individuell, nicht ab einem bestimmten Alter.“ Neben dem Gesang ist vielen Choristen auch die soziale Gemeinschaft im Chor wichtig. So sitzt man nach der Probe zusammen, feiert nach Konzerten, und bei Geburtstagen bringen die Mitsänger ein Ständchen .

„Der damalige Kantor Klaus-Peter Meyer, der auch den Volkshochschulchor leitete, in dem ich sang, hat mich in die Kantorei an der Auferstehungskirche gelockt und eingeladen, das Weihnachtsoratorium mitzusingen“, erinnerte sie sich. „Früher waren die Proben strenger und frommer, die Atmosphäre distanzierter. Die Lebendigkeit ist erst im Laufe der Zeit gekommen“, verglich sie.

Ein Zitat des früheren Paderborner Weihbischofs Hanns-Leo Drewes, der sie durch ihr soziales Jahr begleitet hat, ist ihr in guter Erinnerung geblieben. „Du brauchst nur das zu glauben, was du auch singen kannst, hat er gesagt und somit die Erlaubnis gegeben, Überflüssiges auch mal wegzulassen. Letztlich kann alles besungen werden, das ist oft wirksamer, als etwas zu besprechen“, sagte sie. Das Lied „Hinunter ist der Sonne Schein“ hat für die Sängerin eine ganz besondere Bedeutung. „Es hat mich mit anderen Menschen über alle Schwierigkeiten hinweg verbunden“, sagte sie.

Symbolfoto: David Beale / Unsplash

Kantorin Johanna Wimmer (Enger): Musik gibt Hoffnung

Auch für Johanna Wimmer, Kreiskantorin in Enger, sind „die positiven Aspekte von Musik, wie Zusammengehörigkeitsgefühl, Stärkung des Immunsystems und Verbesserung des Gesamtbefindens gerade in der Krise besonders wichtig. Wie man an den vielen Initiativen sieht, kann Musik verbinden, selbst über einen Sicherheitsabstand hinweg. Musik ist und war schon immer ein Ausdruck von Emotionen und gerade in besonderen Situationen, ob positiv oder negativ, ein Weg, um mit den eigenen Gefühlen umzugehen und sie mit anderen zu teilen.“ 

Aktuell verlagert sich viel auf Onlineangebote. „Bereits bestehende musikalische Angebote werden aktiver genutzt und wir öffnen auch für uns neue Räume. Was bisher oft undenkbar schien, ist jetzt ein Segen, weil wir so trotz Versammlungsverbot in Kontakt bleiben können, auch musikalisch“, hat Johanna Wimmer beobachtet. So findet auch ihr Herzensprojekt, ein Online-Orgelkurs für Kinder, begeisterte Nutzer. 

„Musik gibt uns in einer Krisenzeit möglicherweise sogar mehr als in Zeiten, in denen es uns sowieso gut geht. Das gleiche betrifft unseren Glauben. Wenn alles gut ist, brauchen wir theoretisch keinen Gott. Aber gerade in herausfordernden Zeiten suchen und fragen wir nach der Macht, die das Weltgeschehen lenkt. Wie tröstlich, dass wir uns als Christen in Gottes guter Hand wissen und die Gewissheit haben, dass letztlich er 'alle Tränen trocknen' wird. Daher geben Choräle heute noch vielen Menschen, auch mir, viel Hoffnung. Denn die Schreiber waren oft in viel schwierigeren Situationen als wir gerade und konnten dennoch Loblieder singen“, sagte die junge Kantorin.

Johanna Wimmer, Kreiskantorin in Enger

Psychiater Josef Wenleder (München): Rhythmus spielt eine wichtige Rolle

„Je nach Resilienz, der inneren Widerstandskraft gegen negative äußere Einflüsse, ergeben wir Menschen uns in das Schicksal oder tun uns aktiv etwas Gutes, zum Beispiel durch schöne Musik“, sagte Josef Wenleder aus Gilching bei München. Der Psychiater im Ruhestand und langjähriger Chorist weiß: „Das Famose ist, Musik kann ich mir machen, wann ich will, entweder rezeptiv durch Zuhören. Oder aktiv, indem ich ein Instrument spiele oder singe, egal ob im Chor oder in der Badewanne. So finde ich die Musik, die ich in meiner aktuellen Stimmung brauche. Darin kann ich mich aalen oder mir bewusst über eine bestimmte Art von Musik eine bessere Stimmung machen.“ 

„Komponisten haben nicht immer nur schöne Musik gemacht, sondern auch negative Gefühle verarbeitet“, sagte Josef Wenleder. „Der ach so fröhliche Überflieger Wolfgang Amadeus Mozart hat in seiner Sinfonias concertante auch weniger fröhliche Töne angeschlagen, nachdem er beruflich erfolglos von seiner Reise nach Paris zurückgekehrt war, auf der seine ihn begleitende Mutter in Paris gestorben war. Oder der impulsive, wohl auch jähzornige Ludwig van Beethoven, dessen Gefühlsausbrüche auch in seiner Musik zu hören sind.“

Auch der Rhythmus spielt eine wichtige Rolle. Veranlasst er doch Kinder und Erwachsene zu entsprechender körperlicher Bewegung. „ Beispielsweise beim Tanzen“, so Josef Wenleder. „Oder Marschmusik, sie lässt im Gleichschritt marschieren, und wurde in Kriegen genutzt, um die Soldaten im Krieg eher kampfeslustig zu machen.“

Doch beim gemeinsames Musizieren „entsteht durch den Gleichklang in Rhythmus und Harmonie ein schönes Gemeinschaftsgefühl“, sagte er und betonte, dass Musik auch als Therapie eingesetzt wird. „Dabei geht es nicht nur um die Töne als affektmodulierend, sondern auch um das taktvolle miteinander Kontakt aufnehmen in der therapeutischen Gruppe“, sagte der Psychiater. „Des Menschen Glück: Musik machen ist einfacher als Wetter machen. Wir müssen es uns ja nicht immer schwerer machen als es sein muss“, so sein Fazit. 

Psychiater Josef Wenleder (München)