Geht ein Riss durch unsere Gesellschaft - Rechtspopulismus, Angst und Wutbürger

Erstellt am 31.01.2019

Zum Vortrag von G.-M Hoeffchen/Kirchenzeitung 'Unsere Kirche' in der Aktuellen Runde am 15.1.19

Erwarten wir einen gesellschaftlichen Riss in Deutschland – oder haben wir ihn bereits? - Vor zahlreich erschienenem Publikum stellte Chefredakteur Hoeffchen im Wichernhaus diese Frage an den Beginn seiner Vortragsausführungen und konstatierte: Der Riss ist bereits da!

 

Unsere gefestigt erschienene Demokratie zeigt deutliche Spuren der Zerreißproben, denen sie seit 2013, dem Gründungsjahr der Partei 'Alternative für Deutschland' und vor allem seit 2015,  dem Jahr der vermehrten Flüchtlingsaufnahme, ausgesetzt ist. Mittlerweile hat diese europaskeptisch-rechtsliberale Partei den etablierten Parteien CDU, und SPD – auch den 'Linken' – beträchtlich Wählerstimmen abgenommen und ist in allen 16 deutschen Landtagen, im Bundestag und Europa-Parlament vertreten. Sie stellt  d i e  Opposition gegenüber der  regierenden Großen Koalition von CDU und SPD dar. - Wahlforscher erwarten für die AfD einen weiteren Stimmenanstieg.

 

Wie setzt sich die Wählerschaft der AfD zusammen und was macht ihre Attraktivität aus? Hoeffchen sieht (vereinfacht) folgende Zusammenhänge: die Gründungsgruppe der Partei bildeten 2013 vorwiegend akademisch geschulte Menschen, die - stärker wirtschaftsorientiert* die Regierung kritisierten; 2015 spaltete sich ein wirtschaftsliberaler Flügel ab, doch eine zweite Gruppe mit heimatbetont-konservativen und ausgeprägt europa-skeptischen** Zielen schloss sich unter den Turbulenzen der Flüchtlingsströme jenes Jahres an; als dritte Gruppe stießen völkisch-national***gesinnte Bürger dazu, viele von ihnen waren Protestwähler. Die Partei radikalisierte sich. Für Hoeffchen ist das Zusammenfließen der dritten – wenig dialogbereiten - mit den beiden ersten Gruppen das Kernproblem in allen Fragen der politischen Verständigung. 

Zuwächse erreichte die AfD in den letzten Jahren nicht nur durch das erwähnte Hinüberwechseln ehemaliger Wähler der etablierten Parteien, sondern auch durch eine große Zahl ehemaliger Nichtwähler.  Sie wurden nicht nur angezogen durch die Ziele dieser neuen Partei  (einer kulturell homogenen Gesellschaft durch rigoros eingeschränkte Zuwanderung und  das Abrücken vom Weg zum vereinten Europa), sondern auch von der Hoffnung, mithilfe dieser Partei ihrer Verdrossenheit über das von ihnen empfundene “wir-hier-unten“ (d.h. das Volk) sind meilenweit entfernt von „euch-da-oben“ (in der„hohen Politik) Luft  machen zu können.

 

Wie können wir als einzelne Christen, als christliche Gemeinden, als evangelische Landeskirche dazu beitragen, dass der unsere Demokratie gefährdende gesellschaftliche Riss nicht noch größer wird?  -  Hoeffchen erinnerte an die friedenwahrende und friedenschaffende Kraft des Evangeliums von Jesus Christus.  Sie ruft uns als Christen zur Sachlichkeit und Mäßigung auf.  Mit der Frage „Wie verstehst Du das?“ dringt diese Kraft in die Binnenperspektive des Anderen ein, nimmt ihn in der Auseinandersetzung ernst, aber sät auch ihren Samen des „Ich sehe das anders …!“ und ebnet den Weg der Verständigung und des Kompromisses.  

Mit der Jahreslosung 2019 Suche Frieden und jage ihm nach (Psalm 34,15) ist die Richtung gewiesen - aber auch  Nachdruck gefordert –für das Alltagsleben in einer Gesellschaft der auseinanderstrebenden Überzeugungen.

 

*wirtschaftsorientiert: keine Anerkennung der innerhalb der EU ausgehandelten, den deutschen wirtschaftlichen Erfolg schmälernden Abmachungen bzw. Beiträge  

** Angst vor Überfremdungs- u. Globalisierungstendenzen, Festklammern an alten Traditionen, Sorge um Verlust der nationalen Identität durch den EU-'Überstaat'

***völkisch-nationale Sicht: Völker sind rassisch-kulturelle Einheiten mit klarer Rangordnung untereinander, die so erhalten bleiben soll