An(ge)dacht: Was ist Freiheit? Superintendentin Dorothea Goudefroy mit einem Impuls zum Reformationstag

Erstellt am 31.10.2021

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade sei ihr herausgefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. (Luther 2017)

Was ist Freiheit? Mit dieser Frage werde ich im Philosophiekurs, Klasse 11, begrüßt. Die anderen kennen sich schon, ich komme neu dazu und dann so eine Frage! Mir schießen unfertige Gedanken durch den Kopf: Freiheit, das heißt tun und lassen können, was ich will. Aber wenn jeder tut und lässt, was er will, ist es mit der Freiheit aller schnell vorbei. Vielleicht ist Freiheit eher Unabhängigkeit oder freie Gedanken… Ich bin unsicher und bleibe die Antwort am ersten Tag im Philokurs schuldig. Das Standing, dort meine eigenen unfertigen Gedanken zu äußern, hatte ich damals einfach noch nicht. 

Was für eine Standhaftigkeit hatte dagegen Martin Luther, der auf dem Reichstag zu Worms gesagt haben soll: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“ Gegen die Mehrheitsmeinung hielt er an seiner theologischen Erkenntnis fest: Allein Christus, allein der Glaube, allein die Gnade, allein die Schrift! Auf nichts Anderem kann das Leben eines Christen stehen. Diese Überzeugung hat er nicht zuletzt in der Beschäftigung mit dem Galaterbrief gewonnen, und sie hat ihn von dem selbstquälerischen Versuch befreit, sich vor Gott zu rechtfertigen. Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Das hat Martin Luther so begeistert, dass er seine Briefe fortan mit „Eleutherios“ (Befreiter) unterschrieb und seinen Namen von Luder zu Luther mit th änderte.

Paulus hätte das bestimmt gefreut. Fast 1500 Jahre früher mahnt er die jungen Christengemeinden in Galatien, dass sie in der Freiheit fest stehen sollen und sich nicht unter das Joch der Knechtschaft beugen. Er schreibt das auf dem Hintergrund einer ganz konkreten Konfliktsituation. Unter den Aposteln und in den jungen Gemeinden streitet man darüber, ob die neu bekehrten Christen dem Judentum beitreten müssen, aus dem der Christus-Glaube hervorgegangen ist. Die Beschneidung ist (für die Männer) der sichtbare Schritt dazu. 

Paulus aber, der selber aus dem jüdischen Volk kommt, hält vehement dagegen: Allein Christus, allein der Glaube! Wer an Christus glaubt, ist befreit zur Freiheit. Christen sind frei von der Verpflichtung, die religiösen Gesetze und Gebote vollständig zu halten. Wer in Christus ist, ist frei und braucht keine weiteren Hilfsmittel, um vor Gott gerechtfertigt zu sein. Paulus hält den jüdischen Weg der Beschneidung und der Befolgung des Gesetzes für einen gangbaren Weg zu Gott. Aber wer einmal frei geworden ist im Glauben an Christus, der wäre ja schön blöd, sich dem Gesetzes-Joch wieder zu unterwerfen. 

Paulus ist ein Befreiter. Er hat die Begegnung mit Christus als persönliche Befreiung erlebt und als den Beginn eines neuen Lebens. Er weiß, was Freiheit ist. Weiß ich es auch?

Freiheit ist ein großes Wagnis, denke ich heute. Da gibt es keine festen Regeln, an die ich mich nur halten muss, um fehlerfrei zu leben. Freiheit bedeutet in unserer Welt, die ziemlich unübersichtlich ist, Verantwortung zu übernehmen. Wir treffen Entscheidungen, die manchmal klug und manchmal dumm sind (hoffentlich mehr von der ersten Sorte). Frei zu sein heißt leider nicht, schuldlos zu bleiben. 

Aber Christus mutet uns die Befreiung zur Freiheit zu. Er spricht uns damit auch von dem Versuch frei, aus eigener Kraft vollkommen zu werden. So ist Freiheit der Raum, in dem ich leben kann, ohne perfekt sein zu müssen, in dem meine eigenen unfertigen Gedanken Platz haben und auch meine Fragen und Zweifel. All das kommt zur Sprache, wenn ich meinen Glauben teile. Mein Standing bekomme ich dabei nicht dadurch, dass ich endlich klug und allwissend geworden wäre. Ich stehe fest, weil Christus zu mir steht. Das ist Gnade!

Was ist Freiheit? Paulus und Luther würden wohl antworten: vor allem eine große Freude! Wir wären schön blöd, nicht auf sie zu hören. 

Gebet

Barmherziger Gott,
mach uns frei von dem ängstlichen Bemühen,
uns vor dir zu rechtfertigen. 

Gib uns den Mut,
in deiner Freiheit zu leben
und im Glauben standhaft zu sein.

Schenke uns die Kraft,
beherzt Verantwortung zu übernehmen
für die Menschen in unserer Welt.

Segne uns und sei uns gnädig.

Amen.