Frieden und Respekt: Predigt von Pfarrer Lars Kunkel zum Roman „Herr Klee und Herr Feld“

„Menschen die man kennt, kann man nicht hassen.“ So hört man es in dem Buch von Michel Bergmann. Darum muss man Menschen kennenlernen, so wie das in dem Roman „Herr Klee und Herr Feld“ geschieht.

Drei Menschen lernen sich neu oder erneut kennen: Der kluge Professor Moritz Kleefeld mit seiner Weite und seinem Buch über das „Toleranz-Gen“, aber auch seinen spröden Sabbatregeln. Dann Alfred Kleefeld, dieser charmante, alternde Schauspieler mit seiner Rebellion gegen die religiösen Normen seines Bruders. Und drittens Zamira, diese wunderschöne Frau aus Palästina, die ausgerechnet bei diesen so unterschiedlichen Brüdern ein Zuhause sucht.

Michel Bergmann schafft es sehr gut, die alten und verkrusteten Schemata aus Schwarz und Weiß mit seinen liebenswerten Figuren zu durchbrechen. Da ist zwar noch Jude und Moslem, Israel und Palästina. Aber das trennt nicht mehr, sondern unterscheidet nur noch. Weil die drei sich als Menschen kennenlernen.

Schon die erste Begegnung ist vielversprechend. Der eine spielt Klavier, die andere Geige. Musik überwindet Grenzen.  Wir kennen das aus der Altstadtgemeinde sehr gut. In der Kantorei kommt es nicht auf die Herkunft an. Der Chor rund um den „Internationalen Gottesdienst“ ist sehr bunt gemischt. Musik verbindet.

Ebenso wie dreckiges Geschirr. Zamira sieht die schmutzigen Teller im Haus der „Kleefelds“, und die spült sie kurzerhand ab. Aus solche menschlichen Gesten entwickelt sich Beziehung. Religion spielt dann erst mal keine Rolle mehr. 

Viel wichtiger sind die existentiellen Dinge. Um Gründe und Abgründe geht es. Um Brüderkonflikte und Eifersucht, um die schwindenden Kräfte älterer Männer. Um Liebe, Begehren, Charmeoffensiven und Enttäuschung.

Und im allmählich entwickelt sich eine Freundschaft von drei Menschen, die sich mögen und vertrauen. Und aus den kleinen Hakeleien über Herkunft und Religion werden tiefe und leidenschaftliche Gespräche. Auch über die Religion und die Politik.

Und mit der Zeit zeigen uns die drei, dass Religionen „gleichgültig“ sind. Und das darf man nicht als „egal“ oder „beliebig“ verstehen, sondern als „gleich gültig“. Judentum, Islam - und ich ergänze mal Christentum - haben die gleich Gültigkeit. Und sie gehören zum Menschsein, auch in aller Verschiedenheit.

Alfred und Moritz sind zwar beide als Juden aufgewachsen. Moritz aber lebt seine Religion konservativ, befolgt die Riten und Traditionen. 

Alfred grenzt sich davon kritisch ab, aber auch für ihn ist - wie für seinen Bruder -  das Judentum Teil seiner Identität. Genau wie für Zamira, die sich ja gar nicht als überzeugte und aktive Muslima und trotzdem ihre Religion als wichtigen Teil Identität versteht. 

Und so geht’s uns ja auch hier in dieser Kirche. Für die meisten von uns hier das Christentum die prägende Religion. Für manche als persönliche Glaubenshaltung, für andere vielleicht eher als Kulturraum.

Bedeutung und Wert haben unsere Religion aber so oder so für uns.

Moritz Kleefeld erklärt die Bedeutung von Religion in einer Weise, die vielleicht für unsere Ohren etwas provozierend klingt. Er glaubt an Gott als das göttliche Wesen in uns, nicht aber an einen personalen Gott, und er versteht die Religion als ein von Menschen geschaffenes Regelwerk.

Ich sehe das etwas anders. Ich glaube an einen Gott, der sich in Jesus Christus als Person offenbart hat. Der mehr ist als Fatum oder Schicksal. 

Das Christentum ist auch keine Sammlung von Regeln und Normen. Der Clou des Christentums ist ja gerade, dass die Gesetze ihre Bedeutung als Heilsweg verloren haben. Es ist der Grundgedanke der Reformation, die paulinische Erkenntnis zu stärken, dass kein Mensch aufgrund seiner Taten und der Erfüllung von Regeln gerecht wird, sondern dass Gottes Liebe uns heil macht.

Auch das Judentum besteht längst nicht nur aus Regeln. Einer der ältesten Texte des Alten Testamentes ist ja die liebende Erwählung Israels durch Gott, der sich ausgerechnet ein ganz kleines und unbedeutendes Volk aussucht. Man könnte also sicher mit Recht einwenden, dass im Judentum wie im Christentum die Liebe Gottes vor und über allem steht und nicht die Regeln.

Religionen sind auch keine Erfindungen von Menschen, aber sie sind historisch gewachsen und haben sich verändert. Nicht nur einzelnen Religionen unterscheiden sich voneinander, auch innerhalb der Religion gibt es Unterschiede.

Das ist im Judentum so und auch im Christentum. Wer die Bibel kritisch liest wird feststellen, dass es sogar innerhalb des neuen Testaments und teilweise sogar zwischen den Evangelien erhebliche Unterschiede und manchmal sogar regelrechte Widersprüche gibt. Einflüsse aus dem Judentum, aber auch aus der griechischen Umwelt haben das Christentum geprägt. Trotzdem ist Religion nicht von Menschen gemacht, sondern ist eine Haltung, in der Menschen die Offenbarung Gottes verarbeitet haben. 

Offensichtlich hat Gott sich auf verschiedene Weise offenbart. Religionen sind deshalb keine Hirngespinste oder Fiktionen, sondern Wege, sich dem göttlichen oder Gott zu nähern. Und dabei spielt es eine große Rolle, ob ich als Mensch in Beirut oder Bad Oeynhausen, in im Libanon oder in Löhne geboren wurde. Je nachdem, wo ich ohne mein Zutun aufgewachsen bin, in welchem Land und zu welcher Zeit und auch bei welchen Eltern, Lehrern und vielleicht Pfarrern, werde ich ziemlich sicher ganz unterschiedliche Wege gefunden haben, mich zu Gott oder meiner Religion hin oder abzuwenden. 

Die Unterschiede auszuhalten ist nicht immer leicht. Das andere und der Andersgläubige kann Angst machen, aufregen, empören und wütend machen. Und das umso mehr, je weniger ich über die andere Religion weiß, aber auch, je weniger ich meine eigene Religion kenne. Fehlende eigene Identität in Kombination mit Unwissen über das andere, treibt Menschen in die Intoleranz. 

„Menschen die man kennt, kann man nicht hassen“. Allerdings ist auch nicht alles beliebig. Ich stehe ja hier nicht als Religionswissenschaftler, sondern als Pfarrer der Evangelischen Kirche und als Christ. Mein Glaube ist es, dass jeder Mensch ein geliebtes Kind Gottes ist und dass wir Schwestern und Brüder sind, die gerne auch mal streiten dürfen, aber trotzdem miteinander verbunden sind. Ich glaube auch, dass Gott uns mit Freiheit begabt hat und den Auftrag gegeben hat, unser Leben zu gestalten. Einzutreten für Frieden und Gerechtigkeit. 

Und darum ist es mir, ist es uns wichtig, die wir diesen Gottesdienst vorbereitet haben, dass Menschen in Frieden und Respekt miteinander leben. Religion ist nicht Gott, Religion ist eine persönliche Haltung, Glauben zu leben und Gott zu suchen.

Gerade deshalb setzt sich die Evangelische Kirche mit ihren Partnern ein für ein gutes Miteinander der Konfessionen, Religionen und Kulturen. In unserer Gemeinde gibt es den schon genannten „Internationalen Gottesdienst“, in dem Menschen ganz verschiedener Herkunft ihren christlichen Glauben leben. Wir haben zwei Kindergärten, in denen Kinder mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen ein friedliches Miteinander einüben. Und das geschieht nicht, obwohl diese Kindergärten Evangelisch sind, sondern weil Sie es sind. Weil unser Glaube uns Weite und Offenheit schenkt. Wir verstecken unseren Glauben nicht, aber wir zwingen ihn auch niemanden auf, sondern lernen voneinander.

Und so lernen wir im Alltag, bei Musik, Essen und schmutzigem Geschirr den Absolutheitsanspruch der monotheistischen Religionen zu überwinden, ohne beliebig zu werden.  Und darin liegt auch der Widerspruch des Glaubens. 

An Gottes Liebe zu allen Menschen zu glauben ist ein klarer Einspruch gegen die Leitkulturen, Pegidas und Wutbürgerdemos. Es ist ein Widerspruch gegen religiösen Fanatismus, den es in jeder Religion gibt. Dieser Glaube ist ein „Nein“ gegen Angriffe auf das Leben: Gegen Bomben, Raketen und verbale Entgleisungen. Und dieser Glaube ist ein Zuspruch, mutig zu sein und gleichzeitig auf Gottes schöpferische Kraft zu vertrauen. 

Glaube ist der Widerstand gegen alle lebensfeindlichen Kräfte und Mächte. Und da wäre es mir „gleich-gültig“, welche Religion das ist, so lange sie aus der Hoffnung auf Frieden lebt. Im Nahen Osten, zwischen Israel und den Palästinensern, zwischen Ost und West, in den Familien und Gemeinschaften und auch in unseren Herzen.